Alle vier Jahre: Nationale Wahlen

Im Herb­st wählen wir die Mit­glieder unseres Par­la­ments – unsere Volksvertreter*innen. Im Namen der Polit­gruppe von hab queer bern habe ich soeben an queere Politiker*innen von links bis rechts einen Fragekat­a­log ver­schickt. Darunter Fra­gen zur Erweiterung der Rassismus-Strafnorm, der Öff­nung der Zivile­he, dem Ein­trag im Per­so­n­en­stand­sreg­is­ter und geschlecht­san­gle­ichen­den Oper­a­tio­nen bei Kindern, deren Geschlecht nicht ein­deutig zuweis­bar ist. Ich bin schon sehr ges­pan­nt, auf die Antworten.

Zurück in die Zukunft: 1995

1995 war auch ein Wahl­jahr. Und für den «Ursus Insid­er», der Vere­in­szeitung des leg­endären Ursus Club in Bern, habe ich damals eine Umfrage unter den Parteien des Kan­tons Bern gemacht. Die Fra­gen haben neun Parteien erhal­ten – nicht geant­wortet hat­ten damals die CVP, die EVP, die Frei­heitspartei, die Schweiz­er Demokrat­en und SVP.

24 Jahre später ist es äusserst span­nend, die Antworten auf die dama­li­gen Fra­gen zu lesen, zeigen sie doch deut­lich, wie sich das poli­tis­che Umfeld für uns LGBT verän­dert hat.

Die erste Frage war: «Wie ste­ht ihre Partei zu Schwulen und Les­ben?». Die EDU antwortete darauf: «Aus­ge­hend vom Evan­geli­um, gel­ten ihnen Gottes Gebote wie auch Gottes Ange­bot von Gnade und Verge­bung». Span­nend war die Antwort auf diese Frage von der FDP: «Diese Frage sollte eigentlich gar nicht mehr gestellt wer­den müssen – jeden­falls verpflichtet das lib­erale Gedankengut die FDP, jegliche Aus­gren­zung gegenüber Mit­men­schen zu unter­lassen». Und auch die SP war deut­lich: «Wir haben ver­schiedene Mit­glieder, die sich offen zu ihrem Schwul­sein beken­nen».

Frage zwei drehte sich um die Peti­tion «Gle­iche Rechte für gle­ichgeschlechtliche Paare», die damals die einge­tra­gene Part­ner­schaft ver­langte und erst knapp zehn Jahre später vom National- und Stän­der­at ver­ab­schiedet wurde. Allerd­ings wurde gegen das Gesetz das Ref­er­en­dum ergrif­f­en. Die Volksab­stim­mung fand am 5. Juni 2005 statt und wurde mit 58 Prozent Ja-Stimmen angenom­men. In Kraft trat das Gesetz schlussendlich am 1. Jan­u­ar 2007. Im «Parteien­test» von 1995 antworte die EDU: «Da die EDU die Forderun­gen der Peti­tion aus poli­tisch wie auch ethisch motivierten Grün­den nicht unter­stützen kann, lanciert sie die Peti­tion ‹Für die Förderung gesun­der Fam­i­lien›. Diese Peti­tion richtete sich natür­lich nicht gegen Les­ben und Schwule per­sön­lich, «son­dern gegen ihre Forderung nach ein­er Gle­ich­stel­lung». Das Word­ing der EDUhat sich in den let­zten 24 Jahren ganz offen­bar nicht geän­dert.

Unmissver­ständlich war die Antwort der Grü­nen, bzw. «Junges Bern Freie Liste»: Die Grü­nen haben die Peti­tion «Gle­iche Rechte für gle­ichgeschlechtliche Paare» klar unter­stützt». Es gab damals eine gesamtschweiz­erische Arbeits­gruppe «Grüne Schwule», die «wiederum die Abschaf­fung des Ehe­ver­bots» ver­langte. Hier knüpft offen­bar das LGBTIQ*-Netzwerk der Grü­nen an, das am 22. August dieses Jahres in Bern gegrün­det wer­den soll. Etwas ent­täuschend direkt war die Antwort der SP Kan­ton Bern damals: «Die Frage, wie ‹Gle­iche Rechte für gle­ichgeschlechtliche Paare› in der Prax­is umge­set­zt wer­den kön­nen, wurde bei uns nicht disku­tiert». Die SP-Fraktion im Grossen Rat habe sich aber bere­its «für Schwule und Les­ben engagiert».

Die Antworten auf die Frage, «wür­den sie ein offen homo­sex­uelles Mit­glied ihrer Partei für Nation­al­ratswahlen auf­stellen», waren natür­lich eben­falls sehr unter­schiedlich. Für die EDU war klar: «Von der Grund­hal­tung her wäre ein Auf­stellen eines Kan­di­dat­en nach Bekan­ntwer­den sein­er Homo­sex­u­al­ität nicht möglich». Die Grü­nen, bzw. «Junges Bern Freie Liste», antworteten mit einem klaren «Ja» und dem Hin­weis, dass «auf unser­er Liste» Bern­hard Pul­ver kan­di­diere. Die Antwort der FDP war betont lib­er­al: «Die Qual­ität­skri­te­rien für eine Kan­di­datur auf der Nation­al­rat­sliste beste­ht sich­er nicht in der geschlechtlichen Aus­sortierung der Kan­di­dieren­den».

Eine falsche Antwort gab die FDP allerd­ings auf die Frage, was das «Rosa Dreieck» bedeute: «Ob damit die Organ­i­sa­tion ‹Pink Cross› gemeint ist, wis­sen wir nicht». Die SP war sich da schon sicher­er: «Das Rosa Dreieck wurde ver­wen­det, um in der Nazi-Zeit die Schwulen zu kennze­ich­nen. Und die EDU stellte eine Gegen­frage: «War das nicht ein Zeichen der Diskri­m­inierung im soge­nan­nten Drit­ten Reich (ana­log dem Juden­stern)?». Wie ich später erfahren habe, hat­te sich die EDU die Antwort bei Pink Cross erfragt – die Partei kan­nte also immer­hin bere­its die 1993 gegrün­dete Dachor­gan­i­sa­tion der Schwulen.


Der Text ist in Zusam­me­nar­beit dem stinknormal.blog ent­standen


Polit­podi­um in der Vil­la Stuc­ki

Postskriptum

Am Don­ner­stag, 3. Okto­ber 2019 find­et um 19 Uhr in der Vil­la Stuc­ki zu den diesjähri­gen Wahlen eine von der Polit­gruppe von hab queer bern organ­isiertes Polit­podi­um statt. Wie ich aus der Aus­gabe des bere­its oben erwäh­n­ten «Ursus Insid­er» zum The­ma «Schwule und Poli­tik» ent­nehme, gab es auch 1994 – im Vor­feld der dama­li­gen Gross­ratswahlen – ein von hab queer bern organ­isiertes poli­tis­ches Podi­um. Mar­tin Brud­er­er schrieb damals in seinem Lead zu einem Artikel mit dem Titel «Die HAB. So poli­tisch wir ihre Mit­glieder?»: «Nicht ein­mal ein Dutzend raffte sich im Vor­feld der Gross­ratswahlen 1994 zur Podi­ums­diskus­sion ins ander­Land auf. … Wer weiss, vielle­icht hätte eine kussechte und poli­tisch nicht so kor­rek­te Wer­bung für die Wahlver­anstal­tung im schwule Begeg­nungszen­trum weit mehr ‘schweigende’ Mehrheit beschert.»

Mit auf dem Podi­um vom 3. Okto­ber wird u.a. Mia Wil­len­er von der BDP sitzen. Auf die Frage nach einem Ver­bot von geschlecht­san­gle­ichen­den Oper­a­tio­nen an Kindern, deren Geschlecht nicht ein­deutig zuweis­bar ist und aus gesund­heitlichen Grün­den nicht unmit­tel­bar wichtig sind, antwortete Mia: «Es ist beden­klich, dass zwar die rit­uellen Beschnei­dun­gen von Mäd­chen ver­boten ist, bei Jun­gen aber nicht, genau­so frag­würdig ist es, dass es hinge­gen ok sein soll, die Neuge­bore­nen in die west­liche Binärität hineinzuoperieren, ohne die ger­ing­sten ethis­chen Bedenken seit­ens unseres Staates oder der Medi­zin und in krassem Wider­spruch zu unser­er Ver­fas­sung».