Behinderten wird Sexualität oft abgesprochen

Unser diesjähriges Jahres­the­ma «Queere Men­schen mit Behin­derung»: Ein wichtiges The­ma. Ich mache mich auf Spuren­suche

Ich lande sehr rasch auf der Web­seite der Stiftung MyHand­i­cap. Die Stiftung unter­stützt und fördert Men­schen mit Behin­derung. Und hier finde ich unter dem Titel «Das unsicht­bare Hand­i­cap» tat­säch­lich einen Ein­trag über «gle­ichgeschlechtliche Liebe».

Homo­sex­u­al­ität scheine in der heuti­gen Gesellschaft kein Tabu mehr zu sein, lese ich da. Doch das öffentliche Inter­esse fokussiere sich meist auf schrille Typen aus der Schwu­len­szene: «Schon les­bis­che Frauen und ältere Schwule fall­en aus diesem verengten Blick­winkel her­aus». Und gle­ichzeit­ig komme hinzu, dass ein Grossteil der Bevölkerung immer noch Prob­leme habe, Men­schen mit Behin­derung eine eigen­ständi­ge Sex­u­al­ität zuzuste­hen.

Queere Men­schen mit Behin­derung sitzen zwis­chen den Stühlen: In der queeren Com­mu­ni­ty gel­ten sie als behin­dert, in der Behin­derten­be­we­gung als homo­sex­uell.

Im April 2001 veröf­fentlicht die Zeitung Neues Deutsch­land unter dem Titel «Behin­derte, die dop­pelt anders sind» einen Artikel zur ersten bun­desweit­en Studie zur Lebenssi­t­u­a­tion junger homo- und bisex­ueller Men­schen mit Behin­derung.
Das Faz­it aus der Studie sei grund­sät­zlich «vorherse­hbar», schreibt die Zeitung: «Homo­sex­uelle mit Behin­derun­gen wer­den häu­figer diskri­m­iniert als andere Men­schen». Doch die Studie zeige klar: «Die stärkere Diskri­m­inierung ist nicht der ‹anderen› sex­uellen Iden­tität geschuldet, son­dern erfol­gt in erster Lin­ie auf­grund der Behin­derung». Behin­derten werde Sex­u­al­ität oft schlicht abge­sprochen.

Bere­its 1998 hat ein vom Hes­sis­chen Min­is­teri­um für Soziales und Inte­gra­tion organ­isiertes Arbeit­str­e­f­fen «Zur Sit­u­a­tion von Les­ben und Schwulen mit Behin­derun­gen» stattge­fun­den. Es sei «zunächst unumgänglich, weit­er­hin auf die Forderung nach Bar­ri­ere­frei­heit für Orte der schwulen und les­bis­chen Sub­kul­tur zu ver­weisen», lese ich da im Pro­tokoll des Arbeit­str­e­f­fens. Die Sit­u­a­tion als Schwule mit Behin­derung sei grund­sät­zlich durch das Phänomen des dop­pel­ten Com­ing-out geprägt: «Man erlebe die Aus­gren­zung als Schwuler in den Behin­derten­grup­pen, während man umgekehrt in der Schwu­len­szene als Behin­dert­er aus­ge­gren­zt werde».

Für das Arbeit­str­e­f­fen wur­den Forderun­gen zum Leben von Les­ben mit Behin­derun­gen zusam­mengestellt. Ihre Forderun­gen lassen sich auf die ganze queere Com­mu­ni­ty über­tra­gen:

  • Behin­derte Les­ben brauchen eine grössere Öffentlichkeit.
  • Ins­beson­dere für Les­ben ist die Forderung nach selb­st­gewählten Assis­ten­zper­so­n­en von gross­er Bedeu­tung, um ein selb­st­bes­timmtes Leben führen zu kön­nen. Bei Les­ben beste­ht neben dem Risiko von (sex­uellen) Über­grif­f­en durch Assistent*innen die Gefahr von homo­phoben Assis­ten­zper­so­n­en.
  • Beratungsstellen für behin­derte Les­ben müssen ein­gerichtet wer­den.
  • Geset­zliche Grund­la­gen gegen Diskri­m­inierun­gen von Les­ben mit Behin­derun­gen müssen geschaf­fen wer­den.

Daniel Frey