Damsel in distress!

Mein erstes MAHL: Es war der 15. Jan­u­ar 2020. Ich weiss das deswe­gen so genau, weil ich es mir in den Kalen­der einge­tra­gen hat­te. Nur fünf Tage zuvor, war mein offizielles Com­ing-out bei meinem Chef in der Fir­ma, bei meinem erweit­erten Fre­un­deskreis — naja und eben draussen. Auch dieser Tag ist in meinem Kalen­der verze­ich­net.

Ich schritt auf das Anwe­sen zu, über­querte den hal­brun­den Weg und war erstaunt über das herrschaftliche Anwe­sen. Die automa­tis­che Türe ver­set­zte mich erneut in Erstaunen. Drin­nen angekom­men blick­te ich mich um und suchte einen Anhalt­spunkt, wo das 3gang wohl stat­tfind­en sollte.

Ich fragte ich die Bedi­en­steten des Restau­rants, ob ich denn am richti­gen Tag gekom­men war, weil unten noch kein Men­sch war, auss­er mir. Ich war viel zu früh gekom­men und von der Trans-Gesprächs­gruppe wusste ich nichts.

Ein attrak­tiv­er junger Mann mit weiss­er Schürze, etwa einen Kopf gröss­er als ich, dun­kle Haut und wun­der­bare kleine Löckchen auf dem Kopf, fragte mich daraufhin ob ich mich zum Essen angemeldet hätte. Angemeldet? Oh Schreck musste man das? Ja, man musste, wie ich dann nur ein wenig später fest­stellen musste.

In der Mitte des grossen Saales war ein langer Tisch, an dem die erlaucht­en Per­so­n­en, die sich angemeldet hat­ten ihren Platz fan­den. Damen und Her­ren, sowie jene dazwis­chen und jene, die sich kein­er Kat­e­gorie zuord­nen woll­ten.

Aussen herum standen mehrere Tis­che an denen eben­falls Per­so­n­en Plätze reserviert hat­ten.

Man platzierte mich am äusser­sten Rand an einem Tisch, an dem schon ein älter­er Mann sass. Der illus­tre Herr tex­tete mich die läng­ste Zeit des Abends mit Anek­doten seines auss­chweifend­en Lebens als Erfind­er, Autor und YouTube-Star zu. Ich schielte hinüber zu dem Tisch, an dem die Leute sassen, wegen der­er ich eigentlich gekom­men war, und die lachend und schwatzend den Abend sichtlich genossen. 

Je später der Abend wurde desto anstren­gen­der fand ich es, den Geschicht­en meines Gegenübers zu lauschen. Bis zu jen­em Abend war ich die einzige trans Frau, die ich per­sön­lich kan­nte und dort in der Mitte des Raumes sassen gle­ich eine ganze Hand­voll von ihnen. Ich wollte unbe­d­ingt den Tisch wech­seln, aber ich wollte den Her­rn an meinem Tisch auch nicht ver­let­zen. Eine verzwack­te Sit­u­a­tion.

Damsel in dis­tress! Mein Gegenüber hat­te ger­ade wieder zu ein­er sein­er ausufer­n­den Sto­rys ange­set­zt, als mein hünen­hafter Ret­ter sich an unserem Tisch aufge­baut hat­te. Er stellte sich auf aller char­man­teste Art und mit seinem typ­is­chen spitzbübis­chen Lächeln vor, das nur von seinem nach unten spitz zulaufen­d­em Bart übertrof­fen wurde. «Max Krieg», sagte er und es war sofort klar, dass dieser Herr mehr war, als nur der Sekretär von hab queer bern, als der er sich zu erken­nen gab.

Ich reichte ihm artig die Hand (damals durfte man das noch) und er zele­bri­erte einen aufwändi­gen Hand­kuss, ohne dass sein Mund meine Hand tat­säch­lich berührte. Ich schmolz inner­lich dahin wie Vanille Glacé im Hochsom­mer auf einem Lieges­tuhl an der Riv­iera.

Er war nicht nur mein Ret­ter in der Not, rit­ter­lich und doch der Mann fürs Grobe, son­dern er hat­te wirk­lich Klasse, und er hat­te Style, was die Auswahl sein­er Bek­lei­dung zeigte. Aber am aller­wichtig­sten, obwohl er ganz offen­sichtlich dem eige­nen Geschlecht zugeneigt war, wusste wie man eine Dame behan­delte damit sie sich wie eine Dame fühlte. Und in sein­er Gegen­wart blühte ich an diesem Abend doch noch auf. Später, an der Bar ste­hend unter­hiel­ten wir uns und irgend­wann kam das Gespräch auf hab queer bern und TGNS und ich sagte ihm, dass ich mich noch nicht angemeldet hat­te, aber es dann die Tage noch vorhat­te. Ein Fehler?

Wie auf ein Stich­wort rief er mir im Vor­beige­hen zu ich solle nicht fort­ge­hen, und war ver­schwun­den. Leicht kon­stern­iert blick­te ich um mich und über­legte ob mich eventuell jemand ansprechen würde, aber in meinem näheren Umfeld war da nie­mand den ich mit einem hil­flosen Blick und dem Ver­sprechen auf eine Unter­hal­tung mit ein­er elo­quenten Frau zu mir lot­sen kon­nte. Max Krieg kam tat­säch­lich wenige Minuten später mit den Anmel­dun­gen für hab queer bern und TGNS zurück. Ich unter­schrieb und sei­ther bin ich Mit­frau.

Am Ende des Abends hat­te ich es dann doch noch geschafft, denn ich sass tat­säch­lich mit den fünf trans Damen zusam­men am Tisch in der Mitte des Raumes. Während wir uns unter­hiel­ten, saugte ich eine Unmenge von Infor­ma­tio­nen auf. Zum Beispiel erfuhr ich die Adresse mein­er Frauenärztin. 

Stephe­nie Vee Sieg­mann