Denkanstoss der LOS: Schwuler Sexismus — es reicht!

Die Les­benor­gan­i­sa­tion Schweiz LOS verurteilt sowohl den Sex­is­mus inner­halb der LGBT+ Com­mu­ni­ty als auch die interne und (fol­glich) öffentlich-medi­ale Unsicht­bar­ma­chung les­bis­ch­er Frauen. Sie fordert eine dif­feren­ziert­ere Berichter­stat­tung und die Sicht­bar­ma­chung homo­sex­ueller Frauen in der Schweiz­er Medi­en­land­schaft, mehr geschützte Frauen­räume und ‑ange­bote und die Berück­sich­ti­gung frauen- und les­ben­spez­i­fis­ch­er The­men inner­halb als auch ausser­halb der Com­mu­ni­ty.

10926274_836319489739968_3048203033765448013_o

Unter dem Hash­tag #Schweiz­er­Auf­schrei teilen Frauen und ein paar wenige Män­ner seit eini­gen Tagen in den sozialen Medi­en ihre Erfahrun­gen mit Sex­is­mus im All­t­ag und sex­u­al­isiert­er Gewalt. Ini­tiantin war zusam­men mit vier weit­eren Aktivistin­nen LOS-Co-Präsi­dentin Lovis Cas­saris. Der Aus­lös­er für den Auf­schrei war unter anderem eine Aus­sage von SVP-Poli­tik­erin und Polizistin Andrea Geiss­büh­ler. In einem TV-Beitrag, in dem es um bed­ingte Strafen für Verge­waltiger ging, sagte Geiss­büh­ler:

Naive Frauen, die fremde Män­ner nach dem Aus­gang mit nach Hause nehmen und dann ein biss­chen mit­machen, aber plöt­zlich den­noch nicht wollen, tra­gen ja auch ein wenig eine Mitschuld. Da sind die bed­ingten Strafen vielle­icht gerecht­fer­tigt.

Der #Schweiz­er­Auf­schrei ver­bre­it­ete sich wie ein Lauf­feuer und wurde in zahlre­ichen (Print-)Medien aufge­grif­f­en, abge­han­delt, weit­ergedacht. Zwei Aspek­te wur­den bish­er nicht ange­sprochen, welche die LOS als schwulen Sex­is­mus und die Unsicht­bar­ma­chung les­bis­ch­er Frauen beklagt.

Es ist trau­rig, dass wir immer wieder darauf aufmerk­sam machen müssen, aber Les­ben sind gle­ichzeit­ig auch Frauen. Sie wer­den also nicht nur diskri­m­iniert, weil sie les­bisch sind, son­dern auch benachteiligt, weil sie Frauen sind. Und Schwule prof­i­tieren auch weit­er­hin von den Priv­i­legien, die Män­nern auf­grund ihres Geschlechts zuge­sprochen wer­den. Vor Sex­is­mus und dessen Repro­duk­tion sind auch Ange­hörige ein­er LGBT+ Com­mu­ni­ty nicht aus­geschlossen.

Wir haben genug vom Sex­is­mus auch inner­halb der eige­nen LGBT+ Szene. Nicht nur die Frauen­feindlichkeit, auch die Les­ben­feindlichkeit unter Schwulen muss ein Ende nehmen. Wir haben genug von Schwulen, die – um in den Genuss bürg­er­lich-het­ero­nor­ma­tiv­er Vorteile zu kom­men, andere Män­ner als “Tun­ten” belei­di­gen, weil sie in ihrem Empfind­en und Ver­hal­ten dem weib­lichen Stereo­typ entsprechen. Wir haben genug von Schwulen, die sich in Anwe­sen­heit von Frauen vul­gär aus­drück­en und abfäl­lige Kom­mentare zu weib­lichen Gen­i­tal­ien und der Men­stru­a­tion machen. Wir haben genug von Schwulen, die Frauen anfassen und den Man­gel an Respekt vor der kör­per­lichen Integrität rel­a­tivieren und legit­imieren mit der Tat­sache, dass sie schwul seien und deshalb kein sex­uelles Inter­esse dahin­ter­stecke. Wir möcht­en mehr geschützte Räume für Les­ben. Wir möcht­en keine Par­tys wie die “Come Togeth­er” im Mar­quée Zürich, die “für mehr fem­i­nine Les­ben” wer­ben — uns gibt es im Mini-Rock, mit Lip­pen­s­tift, Holzfäller­hemd und Smok­ing, mit und ohne Bein- und Achsel­be­haarung, mit lan­gen oder kurzen Haar­frisuren. Wir müssen keinem Wun­schbild entsprechen. Deshalb fordern wir mehr Räume, welche die Vielfalt les­bis­ch­er Frauen respek­tieren.

Wir möcht­en über­haupt mehr Räume haben. Und mehr Sicht­barkeit auch inner­halb der LGBT+ Com­mu­ni­ty. Die meis­ten Homo-Grup­pen beste­hen mehrheitlich aus Män­nern, einige sind sog­ar reine Män­ner­grup­pen. Wenn schwule Män­ner die Szene dominieren, wirkt sich dies zwangsweise auf die Sen­si­bil­isierung gegenüber les­bis­chen The­men aus. Frauen- und Les­ben­the­men sind in diesen Grup­pen nicht sel­ten unter­repräsen­tiert. Ein aktuelles Beispiel ist das Gay­west Fes­ti­val 2016, obwohl von ein­er Frau mitor­gan­isiert. Das Enter­tain­ment-Pro­gramm bestand vor­wiegend aus Män­nern, obwohl es genug gute Kün­st­lerin­nen gibt, die man hätte engagieren kön­nen. Auf der Bühne hielt eine einzige Frau eine Rede. Wir haben genug und fordern die Sicht­bar­ma­chung les­bis­ch­er Frauen inner­halb, aber auch ausser­halb der LGBT+ Com­mu­ni­ty. So bericht­en Medi­en vor­wiegend über Schwule, wenn sie eigentlich Schwule, Les­ben und manch­mal auch Trans­gen­der meinen. Umgekehrt schreiben sie über Homo­sex­uelle, wenn nur schwule Män­ner gemeint sind. Mit­tler­weile ist der Ein­druck ent­standen, der Begriff “homo” beziehe sich lediglich auf Män­ner weil er im Lateinis­chen “Men­sch, Mann” bedeutet. Abge­se­hen davon, dass homo zwar “Mann” bedeuten kann, aber nicht zwin­gend muss, son­dern als Men­sch zu ver­ste­hen ist (z.b. homo sapi­ens), wird hier häu­fig das falsche Prä­fix zitiert.

“Homo” kommt nämlich aus dem Griechischen und bedeutet “gemeinsam, gleich, ähnlich”, im Gegensatz zu “hetero” (griechisch) = verschieden.

Obwohl die LOS zahlre­iche Pro­jek­te mit­fi­nanziert, scheinen für die Medi­en also priv­i­legierte, weisse Schwule aus­re­ichende Repräsen­tan­ten für eine Com­mu­ni­ty zu sein, die vielfältiger nicht sein kön­nte.
Wir fordern mehr Sicht­bar­ma­chung und zugle­ich mehr Autonomie. Die LOS möchte von anderen (Schwulen-)Organisationen in ihren Vorhaben unter­stützt, aber nicht von ihnen vertreten wer­den aus fol­gen­den Grün­den: Sex­is­mus und Inter­sek­tion­al­ität. Inter­sek­tion­al­ität bedeutet, dass soziale Kat­e­gorien wie Gen­der, Eth­niz­ität, Klasse u.a. nicht isoliert voneinan­der konzep­tu­al­isiert wer­den (kön­nen), son­dern dass die kom­plex­en Struk­turen bzw. Überkreuzun­gen (inter­sec­tions) analysiert wer­den müssen.

Es ist grund­sät­zlich keine schlechte Sache, wenn Schwu­lenor­gan­i­sa­tio­nen, die vor allem priv­i­legierte weisse Män­ner vertreten, der LGBT-Com­mu­ni­ty eine Stimme geben wollen (oder zumin­d­est von den Medi­en als so offen wahrgenom­men wird). Prob­lema­tisch wird es, wenn dies die einzig wahrgenommene Stimme ist. Sobald die Frauen die Ini­tia­tive ergreifen, um sicht­bar­er zu wer­den, wer­den nicht sel­ten schwul-les­bis­che Gegen­vorschläge gemacht oder es wird damit argu­men­tiert, dass schwule The­men mehr Echo in den Medi­en bzw. der all­ge­meinen Öffentlichkeit bewirken. Frauen hat­ten schon immer mit ihrer Unsicht­bar­ma­chung zu kämpfen. Das hat wenig mit man­gel­nder Öffentlichkeit­sar­beit oder finanziellen Mit­teln zu tun. Zwei schwule Män­ner wirken pro­vokan­ter als zwei les­bis­che Frauen, denen man entwed­er die Sex­u­al­ität abspricht, indem man sie z.B. als beste Fre­undin­nen wahrn­immt oder — wenn sie sex­u­al­isiert wer­den — sich kaum ein Mann daran stört, weil sie keinen Ausweg Pornogra­phie-Nar­ra­tiv find­en und ihre Sicht­barkeit sehr häu­fig wahrgenom­men wird als “dem Mann gefall­en zu wollen” oder seinem per­sön­lichen Vergnü­gen zu dienen. Und dies auch, solange sie nicht burschikos sind, son­dern dem fem­i­ni­nen, het­ero­sex­uellen Stereo­typ entsprechen.

Es gilt nicht, eine einzige gemein­same Iden­tität zu find­en, da Vielfalt ein wesentlich­er Bestandteil der LGBT-Com­mu­ni­ty ist. Macht-Ungle­ichgewicht­en kann am besten ent­ge­gen­treten wer­den, wenn jed­er Gruppe eine Stimme ver­liehen, anstatt dass sie mund­tot gemacht wird. Die LOS, die Les­ben haben eine eigene Stimme. Sie ist in den let­zten Monat­en lauter gewor­den und das ist auch gut so. Wir möcht­en nicht bevor­mundet wer­den. Uns wird immer wieder vorge­wor­fen, sauer oder belei­digt zu sein. Das ist nichts Neues: Frauen, die selb­st­be­wusst auftreten, die unangepasst und unbe­quem sind, wer­den als zick­ig, böse, hys­ter­isch, oder gar als hässliche “Femi-Nazis” oder “Birken­stock­faschos” abgestem­pelt. Aber wir lassen uns nicht ein­schüchtern. Wir lassen uns nicht sprach­los machen.

Die Beru­fung auf eine gemein­same Iden­tität mag auf den ersten Blick sin­nvoll erscheinen, um poli­tis­che Ziele nach aussen zu vertreten und zu erre­ichen. Sin­nvoll wäre, um es mit Judith But­ler auszu­drück­en, eine Allianz von Indi­viduen und Grup­pen, die zwar nicht frei von Auseinan­der­set­zun­gen sind, aber selb­stre­flex­iv und selb­stkri­tisch damit umge­hen kön­nen. Wir teilen Car­olin Emck­es Gedanken, wenn sie sagt:

Wir kön­nen neu anfan­gen und die alten Geschicht­en weit­er­spin­nen wie einen Faden Fes­sel­rest, der her­aushängt, wir kön­nen anknüpfen oder aufknüpfen, wir kön­nen ver­schiedene Geschicht­en zusam­men weben und eine andere Erzäh­lung erzählen, eine, die offen­er ist, leis­er auch, eine, in der jede und jed­er rel­e­vant ist.

Das geht nicht allein. Dazu braucht es alle in der Zivilge­sellschaft. Demokratis­che Geschichte wird von allen gemacht. Eine demokratis­che Geschichte erzählen alle. Nicht nur die pro­fes­sionellen Erzäh­lerin­nen und Erzäh­ler. Da ist jede und jed­er rel­e­vant, alte Men­schen und junge, die mit Arbeit und die ohne, die mit mehr und die mit weniger Bil­dung, Dragqueens und Pas­toren, Unternehmerin­nen oder Offiziere, jede und jed­er ist wichtig, um eine Geschichte zu erzählen, in der alle ange­sprochen und sicht­bar wer­den. Dafür ste­hen Eltern und Grossel­tern ein, daran arbeit­en Erzieher und Lehrerin­nen in den Kindergärten und Schulen, dabei zählen Polizistin­nen und Sozialar­beit­er so wie Clubbe­sitzer und Türste­her. Diese demokratis­che Geschichte eines offe­nen, plu­ralen Wir braucht Bilder und Vor­bilder, auf den Ämtern und Behör­den eben­so wie in den The­atern und Fil­men – damit sie uns zeigen und erin­nern, was und wer wir sein kön­nen.

Und nicht zulet­zt in den eige­nen Rei­hen, in der LGBT+ Com­mu­ni­ty und drum herum.