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3. November 2016

Denkanstoss der LOS: Schwuler Sexismus – es reicht!

Die Lesbenorganisation Schweiz LOS verurteilt sowohl den Sexismus innerhalb der LGBT+ Community als auch die interne und (folglich) öffentlich-mediale Unsichtbarmachung lesbischer Frauen. Sie fordert eine differenziertere Berichterstattung und die Sichtbarmachung homosexueller Frauen in der Schweizer Medienlandschaft, mehr geschützte Frauenräume und -angebote und die Berücksichtigung frauen- und lesbenspezifischer Themen innerhalb als auch ausserhalb der Community.

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Unter dem Hashtag #SchweizerAufschrei teilen Frauen und ein paar wenige Männer seit einigen Tagen in den sozialen Medien ihre Erfahrungen mit Sexismus im Alltag und sexualisierter Gewalt. Initiantin war zusammen mit vier weiteren Aktivistinnen LOS-Co-Präsidentin Lovis Cassaris. Der Auslöser für den Aufschrei war unter anderem eine Aussage von SVP-Politikerin und Polizistin Andrea Geissbühler. In einem TV-Beitrag, in dem es um bedingte Strafen für Vergewaltiger ging, sagte Geissbühler:

Naive Frauen, die fremde Männer nach dem Ausgang mit nach Hause nehmen und dann ein bisschen mitmachen, aber plötzlich dennoch nicht wollen, tragen ja auch ein wenig eine Mitschuld. Da sind die bedingten Strafen vielleicht gerechtfertigt.

Der #SchweizerAufschrei verbreitete sich wie ein Lauffeuer und wurde in zahlreichen (Print-)Medien aufgegriffen, abgehandelt, weitergedacht. Zwei Aspekte wurden bisher nicht angesprochen, welche die LOS als schwulen Sexismus und die Unsichtbarmachung lesbischer Frauen beklagt.

Es ist traurig, dass wir immer wieder darauf aufmerksam machen müssen, aber Lesben sind gleichzeitig auch Frauen. Sie werden also nicht nur diskriminiert, weil sie lesbisch sind, sondern auch benachteiligt, weil sie Frauen sind. Und Schwule profitieren auch weiterhin von den Privilegien, die Männern aufgrund ihres Geschlechts zugesprochen werden. Vor Sexismus und dessen Reproduktion sind auch Angehörige einer LGBT+ Community nicht ausgeschlossen.

Wir haben genug vom Sexismus auch innerhalb der eigenen LGBT+ Szene. Nicht nur die Frauenfeindlichkeit, auch die Lesbenfeindlichkeit unter Schwulen muss ein Ende nehmen. Wir haben genug von Schwulen, die – um in den Genuss bürgerlich-heteronormativer Vorteile zu kommen, andere Männer als „Tunten“ beleidigen, weil sie in ihrem Empfinden und Verhalten dem weiblichen Stereotyp entsprechen. Wir haben genug von Schwulen, die sich in Anwesenheit von Frauen vulgär ausdrücken und abfällige Kommentare zu weiblichen Genitalien und der Menstruation machen. Wir haben genug von Schwulen, die Frauen anfassen und den Mangel an Respekt vor der körperlichen Integrität relativieren und legitimieren mit der Tatsache, dass sie schwul seien und deshalb kein sexuelles Interesse dahinterstecke. Wir möchten mehr geschützte Räume für Lesben. Wir möchten keine Partys wie die „Come Together“ im Marquée Zürich, die „für mehr feminine Lesben“ werben – uns gibt es im Mini-Rock, mit Lippenstift, Holzfällerhemd und Smoking, mit und ohne Bein- und Achselbehaarung, mit langen oder kurzen Haarfrisuren. Wir müssen keinem Wunschbild entsprechen. Deshalb fordern wir mehr Räume, welche die Vielfalt lesbischer Frauen respektieren.

Wir möchten überhaupt mehr Räume haben. Und mehr Sichtbarkeit auch innerhalb der LGBT+ Community. Die meisten Homo-Gruppen bestehen mehrheitlich aus Männern, einige sind sogar reine Männergruppen. Wenn schwule Männer die Szene dominieren, wirkt sich dies zwangsweise auf die Sensibilisierung gegenüber lesbischen Themen aus. Frauen- und Lesbenthemen sind in diesen Gruppen nicht selten unterrepräsentiert. Ein aktuelles Beispiel ist das Gaywest Festival 2016, obwohl von einer Frau mitorganisiert. Das Entertainment-Programm bestand vorwiegend aus Männern, obwohl es genug gute Künstlerinnen gibt, die man hätte engagieren können. Auf der Bühne hielt eine einzige Frau eine Rede. Wir haben genug und fordern die Sichtbarmachung lesbischer Frauen innerhalb, aber auch ausserhalb der LGBT+ Community. So berichten Medien vorwiegend über Schwule, wenn sie eigentlich Schwule, Lesben und manchmal auch Transgender meinen. Umgekehrt schreiben sie über Homosexuelle, wenn nur schwule Männer gemeint sind. Mittlerweile ist der Eindruck entstanden, der Begriff „homo“ beziehe sich lediglich auf Männer weil er im Lateinischen „Mensch, Mann“ bedeutet. Abgesehen davon, dass homo zwar „Mann“ bedeuten kann, aber nicht zwingend muss, sondern als Mensch zu verstehen ist (z.b. homo sapiens), wird hier häufig das falsche Präfix zitiert.

„Homo“ kommt nämlich aus dem Griechischen und bedeutet „gemeinsam, gleich, ähnlich“, im Gegensatz zu „hetero“ (griechisch) = verschieden.

Obwohl die LOS zahlreiche Projekte mitfinanziert, scheinen für die Medien also privilegierte, weisse Schwule ausreichende Repräsentanten für eine Community zu sein, die vielfältiger nicht sein könnte.
Wir fordern mehr Sichtbarmachung und zugleich mehr Autonomie. Die LOS möchte von anderen (Schwulen-)Organisationen in ihren Vorhaben unterstützt, aber nicht von ihnen vertreten werden aus folgenden Gründen: Sexismus und Intersektionalität. Intersektionalität bedeutet, dass soziale Kategorien wie Gender, Ethnizität, Klasse u.a. nicht isoliert voneinander konzeptualisiert werden (können), sondern dass die komplexen Strukturen bzw. Überkreuzungen (intersections) analysiert werden müssen.

Es ist grundsätzlich keine schlechte Sache, wenn Schwulenorganisationen, die vor allem privilegierte weisse Männer vertreten, der LGBT-Community eine Stimme geben wollen (oder zumindest von den Medien als so offen wahrgenommen wird). Problematisch wird es, wenn dies die einzig wahrgenommene Stimme ist. Sobald die Frauen die Initiative ergreifen, um sichtbarer zu werden, werden nicht selten schwul-lesbische Gegenvorschläge gemacht oder es wird damit argumentiert, dass schwule Themen mehr Echo in den Medien bzw. der allgemeinen Öffentlichkeit bewirken. Frauen hatten schon immer mit ihrer Unsichtbarmachung zu kämpfen. Das hat wenig mit mangelnder Öffentlichkeitsarbeit oder finanziellen Mitteln zu tun. Zwei schwule Männer wirken provokanter als zwei lesbische Frauen, denen man entweder die Sexualität abspricht, indem man sie z.B. als beste Freundinnen wahrnimmt oder – wenn sie sexualisiert werden – sich kaum ein Mann daran stört, weil sie keinen Ausweg Pornographie-Narrativ finden und ihre Sichtbarkeit sehr häufig wahrgenommen wird als „dem Mann gefallen zu wollen“ oder seinem persönlichen Vergnügen zu dienen. Und dies auch, solange sie nicht burschikos sind, sondern dem femininen, heterosexuellen Stereotyp entsprechen.

Es gilt nicht, eine einzige gemeinsame Identität zu finden, da Vielfalt ein wesentlicher Bestandteil der LGBT-Community ist. Macht-Ungleichgewichten kann am besten entgegentreten werden, wenn jeder Gruppe eine Stimme verliehen, anstatt dass sie mundtot gemacht wird. Die LOS, die Lesben haben eine eigene Stimme. Sie ist in den letzten Monaten lauter geworden und das ist auch gut so. Wir möchten nicht bevormundet werden. Uns wird immer wieder vorgeworfen, sauer oder beleidigt zu sein. Das ist nichts Neues: Frauen, die selbstbewusst auftreten, die unangepasst und unbequem sind, werden als zickig, böse, hysterisch, oder gar als hässliche „Femi-Nazis“ oder „Birkenstockfaschos“ abgestempelt. Aber wir lassen uns nicht einschüchtern. Wir lassen uns nicht sprachlos machen.

Die Berufung auf eine gemeinsame Identität mag auf den ersten Blick sinnvoll erscheinen, um politische Ziele nach aussen zu vertreten und zu erreichen. Sinnvoll wäre, um es mit Judith Butler auszudrücken, eine Allianz von Individuen und Gruppen, die zwar nicht frei von Auseinandersetzungen sind, aber selbstreflexiv und selbstkritisch damit umgehen können. Wir teilen Carolin Emckes Gedanken, wenn sie sagt:

Wir können neu anfangen und die alten Geschichten weiterspinnen wie einen Faden Fesselrest, der heraushängt, wir können anknüpfen oder aufknüpfen, wir können verschiedene Geschichten zusammen weben und eine andere Erzählung erzählen, eine, die offener ist, leiser auch, eine, in der jede und jeder relevant ist.

Das geht nicht allein. Dazu braucht es alle in der Zivilgesellschaft. Demokratische Geschichte wird von allen gemacht. Eine demokratische Geschichte erzählen alle. Nicht nur die professionellen Erzählerinnen und Erzähler. Da ist jede und jeder relevant, alte Menschen und junge, die mit Arbeit und die ohne, die mit mehr und die mit weniger Bildung, Dragqueens und Pastoren, Unternehmerinnen oder Offiziere, jede und jeder ist wichtig, um eine Geschichte zu erzählen, in der alle angesprochen und sichtbar werden. Dafür stehen Eltern und Grosseltern ein, daran arbeiten Erzieher und Lehrerinnen in den Kindergärten und Schulen, dabei zählen Polizistinnen und Sozialarbeiter so wie Clubbesitzer und Türsteher. Diese demokratische Geschichte eines offenen, pluralen Wir braucht Bilder und Vorbilder, auf den Ämtern und Behörden ebenso wie in den Theatern und Filmen – damit sie uns zeigen und erinnern, was und wer wir sein können.

Und nicht zuletzt in den eigenen Reihen, in der LGBT+ Community und drum herum.

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