Die Radikalfeministin* in meinem Kopf oder: Wie viel Separatismus macht eine Gemeinschaft?

Mehr Sicht­barkeit von Les­ben* (Bild: Johan­na Rauch)

Nach einem Monat spüre ich immer noch die Nach­wirkun­gen ein­er Ver­anstal­tung, die mein Hirn auf Hoch­touren brachte. Vom 6. bis 7. Okto­ber 2017 fand die EL*C (Euro­pean Les­bian Con­fer­ence) in Wien statt. Für mich waren die Tage inten­siv, inspiri­erend, manch­mal etwas anstren­gend, und auf jeden Fall ein wichtiger Teil mein­er les­bis­chen* Biografie. Ich denke, mit meinem Besuch Geschichte mit­geschrieben zu haben.

Fälschlicher­weise wurde die Zusam­menkun­ft von über 400 frauen­lieben­den Frauen* als die erste über­haupt deklar­i­ert. Das stimmt aber so nicht. Die allererste Les­benkon­ferenz fand beispiel­sweise bere­its in den 80er Jahren in Ams­ter­dam statt, aber auch in Ital­ien oder im ehe­ma­li­gen Jugoslaw­ien fan­den Frauen* damals bere­its zum gemein­samen Aus­tausch zusam­men. Doch wenn sog­ar Les­ben* ihre eigene Geschichte vergessen, dann läuft etwas ver­dammt schief. Die Welt braucht mehr Lesben*-Sichtbarkeit und die EL*C war ein Schritt wieder in die richtige Rich­tung. Es kribbelte so schön im Bauch, als ich am von der Kon­ferenz organ­isierten Dyke* March teil­nahm. Es tat so gut, mit Frauen* zu reden, die ich nicht kan­nte, mit ihnen fem­i­nis­tis­che Parolen zu rufen, Frem­den zuzuwinken, die völ­lig ver­wirrt zuschaut­en, wie der Umzug an ihnen vor­beig­ing. Als wir auf ein paar intol­er­ante Arschlöch­er trafen, hat­te ich keine Angst. Als Teil dieser Gemein­schaft fühlte ich mich stark. Doch wer ist diese Gemein­schaft konkret?

Mehr Vielfalt unter Lesben*

Ich muss zugeben, dass ich lange mit mir gerun­gen habe, bevor ich beschloss, die EL*C zu besuchen. Auch wenn die Tick­ets für die Kon­ferenz rel­a­tiv gün­stig waren, hät­ten mich Flug und Unterkun­ft in ein finanzielles Loch gezo­gen. Nach langem Über­legen buchte ich dann doch meinen Aufen­thalt. In mein­er aktuell prekären finanziellen Sit­u­a­tion werde ich die Nach­wirkun­gen noch lange spüren, aber zu gross war das Ver­lan­gen, mich mit anderen Frauen* über Fra­gen zu Iden­tität und Sicht­barkeit auszu­tauschen, welche mich seit ein­er ganzen Weile beschäfti­gen.

Warum ich das alles erzäh­le? Weil meine per­sön­liche Lage mich die EL*C von Anfang aus einem kri­tis­chen Blick­winkel betra­cht­en liess. Sicht­bar auf der Kon­ferenz waren vor allem Les­ben*, für welche die Tagung kein finanzielles Prob­lem darstellte. Ich lernte einige Frauen* ken­nen mit eige­nen Unternehmen oder in guten wirtschaftlichen Posi­tio­nen, die wirk­lich kleinen Vere­ine fehlten. Aus­gerech­net die, welche wohl am meis­ten Unter­stützung benöti­gen wür­den. Die Kon­feren­zsprache war zudem Englisch. Wie viele Aktivistin­nen* waren nur schon auf­grund man­gel­nder Sprachken­nt­nisse von Anfang an aus­geschlossen?

Eine Kon­ferenz im Rah­men der EL*C zu organ­isieren ist jedoch alles andere als leicht und die Organisator*innen haben ihr Bestes getan, um alle Teil­nehmenden zufrieden zu stellen, bzw. möglichst viele zu inkludieren. Dass mein Vorschlag, im Logo das Sternchen hinzufü­gen, disku­tiert und in der Tat umge­set­zt wurde, freute mich sehr. Den­noch sorgte dieser kleine Aster­isk für einige Stre­it­ge­spräche: Kön­nen Trans*frauen les­bisch sein? Wer­den mit dem Sternchen auch bisex­uelle Frauen ange­sprochen? Über­haupt waren die ganzen Pan­els vielfältig, die Posi­tio­nen ver­schieden, die Diskus­sio­nen kon­tro­vers. Es kamen nicht nur promi­nente Wis­senschaft­lerin­nen* oder Medi­en­men­schen zu Wort, son­dern es wurde auch den­jeni­gen eine Plat­tform geboten, die im All­t­ag Schwierigkeit­en haben, gehört zu wer­den.

Wer sind die Lesben*?

Eine Stimme, die mich seit der Kon­ferenz noch begleit­et, ist die ein­er Radikalfem­i­nistin*, die sich während des Abschlusspodi­ums meldete, weil sie sich nicht akzep­tiert fühlte, und mit der ich mich später alleine unter­hielt. Ich muss zugeben, dass ich bis zu unserem Gespräch nicht wirk­lich wusste, was ich mir unter ein­er radikalen Fem­i­nistin* vorstellen sollte. Eine Fem­i­nistin, die auf Demos beson­ders viel Krawall macht? Eine Fem­i­nistin*, welche die völ­lige Abschaf­fung der Geschlechter ein­fordert?

Im Gespräch habe gel­ernt: Eine Radikalfem­i­nistin* ist vor allem gegen Frauen*unterdrückung, welche sich auch in Unsicht­bar­ma­chung von Frauen* und Les­ben* man­i­festiert. Für den Radikalfem­i­nis­mus ist das Sternchen keine Lösung. Unter­drück­ung funk­tion­iert hier nicht ohne den weib­lichen Kör­p­er, trans* Men­schen wer­den deshalb nicht in diese Poli­tik mitein­be­zo­gen, so auch les­bis­che Trans*frauen. Ist dieser les­bis­che sep­a­ratis­tis­che Fem­i­nis­mus trans*feindlich? Ich kann es nicht sagen. Mir schien die Frau* nicht trans*phob zu sein. Ich kann nachvol­lziehen, dass es auch safe spaces braucht, um sich vor Trans*sexismus zu schützen, sprich Abw­er­tung und Aus­gren­zung von Cis-Frauen* von­seit­en von trans*Menschen. Trans*sexismus ist in der Tat etwas, worüber nicht so häu­fig gesprochen wird. Wer ein Leben lang als Mann* sozial­isiert wurde und bis zu einem gewis­sen Zeit­punkt bzw. Grad von männlichen Priv­i­legien prof­i­tierte, kann hin und wieder, wenn vielle­icht auch unbe­wusst, ins sex­is­tis­che Fet­tnäpfchen treten.

Unser Gespräch war kurz, aber hin­ter­her hat­te ich das Gefühl, Ein­blick in eine andere, mir unbekan­nte Sichtweise erhal­ten zu haben und dass Dia­log möglich ist, auch wenn wir als Les­ben* und Fem­i­nistin­nen* unter­schiedliche Ansätze haben.

Wer sind die Lesben* der LOS?

Nach mein­er Rück­kehr dachte ich, die pos­i­tive Energie mit zum Sym­po­sium der LOS mitzunehmen, auf welchem ich, zusam­men mit vier anderen Frauen*, inter­viewt wurde. Nach ein­er ziem­lich emo­tionalen GV im April hat­ten Geschäft­sleitung und Vor­stand näm­lich zahlre­iche Fra­gen erhal­ten, die am Sym­po­sium disku­tiert wur­den, um die Zukun­ft der Organ­i­sa­tion zu entschei­den: Inwieweit ist die LOS inklu­siv? Ver­tritt die LOS auss­chliesslich die Les­ben*? Oder auch die bisex­uellen Frauen*? Wie ste­ht es mit den Trans*frauen, die Mit­frauen* wer­den möchten? Beste­ht das Risiko, sich zu verzetteln? In welche Rich­tung sollen wir gehen? Im Rah­men eines World Cafés wurde Mei­n­un­gen und Ideen in Grup­pen aus­ge­tauscht. Auch hier war die Bere­itschaft da, einan­der zuzuhören. Der leicht anges­pan­nte Ton zu Beginn der Ver­anstal­tung legte sich schnell. Ich war nicht immer ein­er Mei­n­ung mit den anderen, aber ich bemühte mich, zu ver­ste­hen.

Denken und Handeln

Während der Gespräche schwirrte wieder die Radikalfem­i­nistin* aus Wien in meinem Kopf herum: Wer sind nun die Les­ben*? Und ich frage jet­zt: Wie viel Sep­a­ratismus ist gesund, wie viel nötig, um die Exis­tenz ein­er Gemein­schaft zu sich­ern? Und was kann jede* einzelne von uns beitra­gen, damit ein wohlwol­len­des, inklu­sives Umfeld entste­ht, welch­es keine von uns als bedrohlich wahrn­immt? Wir müssen im Dia­log bleiben, pos­i­tive Strate­gien entwick­eln, die uns Sicht­barkeit garantieren. Ein guter Ein­stieg kön­nten die kom­menden FeDi­Ta in Bern sein (Fem­i­nis­tis­che Diskus­sion­stage, 24. bis 26. Novem­ber 2017). Dieses Jahr wird unter dem Mot­to «Treten wir in Action!» ein kleines Train­ingslager für fem­i­nis­tis­che und pro-fem­i­nis­tis­che Aktivist*innen organ­isiert.

>europeanlesbianconference.org