Ein Angriff auf uns alle?

Pride flag waving in the sky.

Nach dem wir am Son­ntag vor Schreck gelähmt waren und gestern auf irgen­deine Art trauerten, ist es heute Zeit für eine Analyse. Ob der Mörder von Orlan­do ein “Krieger des IS”, ein psy­chisch kranker Mann, vielle­icht sog­ar verkappt schwul oder ein­fach nur ein dummes Arschloch war, spielt doch eigentlich (fast) keine Rolle. Doch …

Adri­ano Sack schreibt in der deutschen ‘Welt’, dass der Ter­ror auf den Club in Orlan­do “kein Anschlag auf die west­liche Kul­tur war” – er traf aus­drück­lich einen Club für queere Men­schen. Und was das bedeute, kön­nten die Het­ero­sex­uellen nicht mal erah­nen. Clubs wie das “Pulse” in Orlan­do seien nicht ein­fach ein Platz zum Trinken und zum Tanzen – sie seien “Schutzraum”. Adri­ano Sack schreibt:

Eine Nacht im Club gehört zu den weni­gen Momenten im Leben eines Schwulen, in denen er nicht allein ist, nicht belächelt oder mis­strauisch beäugt wird und wo er völ­lig angst­frei sein kann. Das gilt beson­ders für eine Stadt wie Orlan­do. Denn die USA sind ausser­halb der Zen­tren an Ost- und West­küste ein repres­sives, kon­ser­v­a­tives und latent aggres­sives Land.

Obschon Adri­ano Sack seine Aus­sage auf Schwule beschränkt und alle anderen queere Men­schen auss­chliesst, trifft seine Aus­sage im Kern zu.

Viele Politiker*innen beeilen sich, das schreck­liche Atten­tat in Orlan­do als “einen Angriff auf uns alle” zu beze­ich­nen. Ein Angriff auf uns alle? Nein! Die Tat war ein Angriff auf unsere Lebensweise. Ein Angriff auf die Gemein­schaft der LGBT+ Men­schen.

Diese Fest­stel­lung find­et auch Thorsten Den­kler in der “Süd­deutschen Zeitung” wichtig. Er schreibt:

Wer im Atten­tat von Orlan­do einen Angriff auf die offene Gesellschaft sieht, der sieht nicht, dass die west­lichen Gesellschaften so offen eben nicht sind. Vor dem Gesetz haben die LGBT viel erkämpft. Heute sind sie in vie­len Teilen der Welt rechtlich weit­ge­hend gle­ichgestellt. Aber die Rechtswirk­lichkeit ist eben nicht die Wirk­lichkeit. Ver­bale und kör­per­liche Gewalt gegen LGBT ist All­t­ag.

Und oft ist die Gewalt gegen LGBT+ Men­schen auch “amtlich”. So wur­den gestern in Moskau zwei Jungs von der Polizei ver­haftet, als sie ver­sucht­en, vor der amerikanis­chen Botschaft in Moskau eine Kerze anzuzün­den und ein Plakat mit der Auf­schrift “Love wins” anzubrin­gen.

Auf der Web­site Gaystream von David Berg­er (römisch-katholis­ch­er The­ologe und gescheit­ert­er ‘Männer’-Chefredaktor) lese ich ger­ade die Über­schrift:

Nach Orlan­do: Über­winden Schwule die Spal­tung und find­en im Kampf gegen den Islamis­mus zusam­men?

Lassen wir uns nicht zum Spiel­ball machen, denke ich dabei – und zitiere an dieser Stelle aus einem Inter­view von ’20 Minuten’ mit dem schwulen Imam Ludovic-Mohamed Zahed. Auf die Frage, was denn im Koran zur Homo­sex­u­al­ität ste­he, antwortet er:

Der Koran verurteilt Homo­sex­u­al­ität nicht. Er spricht in diesem Zusam­men­hang immer über Sodom und Gom­or­rha, doch dabei geht es um rit­uelle Verge­wal­ti­gun­gen, wie bei Herodot beschrieben. In der Hadith, den Aussprüchen des Propheten, ste­ht zudem geschrieben, dass der Prophet einen “fem­i­ni­nen Mann” vertei­digte, den andere Män­ner töten woll­ten. Ich weiss natür­lich nicht, ob das stimmt, aber es ste­ht so geschrieben.

Eines ist sich­er: Der Hass gegen uns queeren Men­schen wird erst aufhören, wenn die “Stin­knor­malen” endlich ern­sthaft damit anfan­gen für eine wirk­lich freie und gerechte Welt zu kämpfen. Die kon­se­quente rechtliche Gle­ich­stel­lung von allen Men­schen ist dabei Grund­vo­raus­set­zung. Erst dann wird die schreck­liche Tat in Orlan­do auch wirk­lich “ein Angriff auf uns alle”.

Daniel Frey, HABin­fo

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