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Ein kritischer Rückblick auf die Podiumsdiskussion «Vielfalt im Alter» in St.Gallen

Der Publikumsandrang war enorm. 200 Personen füllten den grossen Hörsaal der Fachhochschule St.Gallen. Weshalb dieser Zulauf? Lag es am Thema, an der vorbildlichen Berichterstattung in der Tagespresse, oder wie es Regierungspräsident Martin Klöti vermutete, am prominenten Podiumsleiter Kurt Aeschbacher oder an den akustischen Leckerbissen des SCHMAZ, des schwulen Männerchores Zürich?

Max Krieg stellt sich den Fragen von Kurt Aeschbacher

Einer unter den Anwesenden und auch auf dem Podium vertreten: Max Krieg. Er hat in der Fachgruppe Alter von Pink Cross die Initiative ergriffen und ist vor rund zwei Jahren an die Fachhochschulen der Schweiz herangetreten mit der Idee, einer Studie im Bereich Wissen und Akzeptanz zu LGBT und HIV-positiven Menschen in den Altersstrukturen der Schweiz zu lancieren. Gleich drei Fachhochschulen haben zugesagt, der Lead übernahm St. Gallen, finanziert wurde das Ganze über Unterstützungen, Spenden und Beiträgen von Pink Cross und LOS. Prof. Sabina Misoch stellte die Ergebnisse vor. Sie fallen ernüchternd aus. Nur die allerwenigsten Institutionen haben sich schon Gedanken über dieses Thema gemacht, oder es gar in einem Leitbild verankert. In der Ausbildung sind Lücken vorhanden. Am ehesten kommt der Umgang mit HIV-positiven Personen zur Sprache, aber selbst hier kursiert falsches Wissen. Bezüglich Schwulen und Lesben ist weniger Wissen und Erfahrung vorhanden und nähert sich bei Transgender und Intergender dem Nullpunkt.

Die anschliessende Podiumsdiskussion verlief in eigentümlichen Bahnen. Der vom Moderator hinaufbeschworene Gegensatz zwischen Förderung der Akzeptanz in allen Institution auf der einen Seite und der Schaffung von speziellen Altersstrukturen für LGBT und Friends, wie sie der Verein Queer Altern vertritt, erwies sich als eine unnötige Gegenüberstellung: es braucht beides und beide Initiativen können sich gegenseitig befruchten.

Als eigentlicher Gegensatz stellten sich zunehmend folgende Sichtweisen heraus: Regierungspräsident Martin Klöti als Sozialminister des Kantons St.Gallen sah alle Institutionen «per se» bereit für eine breite Akzeptanz, auch wenn es noch nicht überall vollständig in Leitbildern verankert sei. Jede Institution anerkenne die Identität eines Klienten, egal welcher sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität, zudem sei Sexualität ja nur ein kleiner Teil einer Anamnese. Demgegenüber stehen die auf dem Podium ausgesprochene Ängste und Erfahrungen, dass die lebenslange Diskriminierung in einer Altersinstitution weitergeht oder gar verstärkt wird. Nicht nur werde das Thema Sexualität tabuisiert, die gesamte Biographie müsse an der Türe der Institution sozusagen abgegeben werden.

Am eindringlichsten ist dies sicherlich bei Transpersonen auszumachen, die «per se» auf stigmatisierende und entmündigende Erfahrungen mit dem Gesundheitswesen zurückblicken, wie Myshelle Baeriswyl als Vertreterin des Transgender Network Schweiz und der Fachstelle für Aids- und Sexualfragen (AHSGA) betonte. Auch in den Publikumsvoten war diese Besorgnis deutlich spürbar: Ist das wirklich offen, wie reagieren Mitbewohner, von wem möchte ich mich pflegen lassen? Moderator Kurt Aeschbacher versuchte geflissentlich diese Gegensätze auszugleichen, ausgehend von seiner eigenen Erfahrung als voll akzeptierter schwuler Talkmaster, das wirkte aber nachgerade ärgerlich.

Letztlich zeigte sich: Altersinstitutionen sind ein Spiegel der Gesellschaft und gehen von einer heterosexuellen Grundannahme aus. LGBT+ Menschen werden darin unsichtbar gemacht und sind Stereotypen und Diskriminierungen ausgesetzt. Der herrschaftsfreie Dialog, den der Rektor der Fachhochschule in seiner Begrüssungsansprache heraufbeschwor, ist in diesem Bereich weitgehend Wunschdenken.

Das Fazit des Abends: Es gilt dringend viel zu bewegen, die Fachhochschulen möchten Folgestudien anschliessen, Ausbildungsgänge müssen überprüft werden, Informationen sind gezielt zu verbreiten, Leitbilder aufzustellen und Führungskräfte in den Institutionen sind bei ihren Entscheidungen und in der Personalauswahl klar in die Pflicht zu nehmen. Max Krieg hat mit seiner Initiative bei Pink Cross viel bewegt, nun ist es an den Dachverbänden, den Einzelnen und den Institutionen diesen Ball aufzugreifen.

Die emotional dichten Gespräche beim anschliessenden Apéro zeugten von der Brisanz des Themas, es fiel manchen schwer, den romantischen und poppigen Einlagen des schwulen Männerchores tatsächlich ein Ohr zu schenken.

Jürg Bläuer, Fachstelle für Aids- und Sexualfragen, Bereichsleiter MSM
Mitglied von Pink Cross und Mitarbeitender beim Aufbau der Studie

>Die Ergebnisse der Studien sind aufrufbar auf der Homepage von Pink Cross

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