Ein Zeichen der Vernunft gegen ewig Ewiggestrige

Am let­zten Don­ner­stag ver­meldete via Twit­ter Bar­bara Stuc­ki (Bern­er Gross­rätin und Mit­glied von hab queer bern) mit Bild des Abstim­mungsre­sul­tats aus dem Rat: «Hier schmettert der Grosse Rat ger­ade die Motion ab, die ver­bi­eten will, dass der Vere­in ABQ in Schulk­lassen im Rah­men des Aufk­lärung­sun­ter­richts über LGBTI-The­men aufk­lärt». Und sie bedankt sich auch bei ihren «mut­masslich het­ero­sex­uellen» 110 Ratskolleg*innen, die zusam­men mit ihr auf den Knopf für ein NEIN gedrückt haben.

Was ist passiert? Im Juni des let­zten Jahres reichte die SVP-Gross­rätin Sabi­na Geiss­büh­ler-Stru­pler zusam­men mit Katha­ri­na Bau­mann-Berg­er (EDU) und Chris­tine Ger­ber (SVP) und 14 weit­eren Mitunterzeichner*innen im Kan­ton­spar­la­ment unter dem harm­losen Titel «Rück­sicht­nahme auf die Entwick­lung von Kindern» eine Motion ein, weil sie sich Sor­gen um die Entwick­lung der het­ero­sex­uellen Mehrheit in Schulk­lassen machen. Wortwörtlich­es Zitat aus der Motion: «Bei rund 92 Prozent der Men­schen ver­lagert sich das Inter­esse erst bei Ein­treten der Adoleszent (Anmerkung: End­phase des Jugen­dal­ters) auf einen Men­schen des anderen Geschlechts. Deshalb darf die Schwulen- und Les­benor­gan­i­sa­tion in dieser natür­lichen, aber sen­si­blen Entwick­lungsphasen den Mäd­chen und Buben nicht sug­gerieren, dass auch ihre sex­uelle Ori­en­tierung les­bisch oder schwul sei.»

Gemeint ist der Vere­in ABQ. Das Schul­pro­jekt ermöglicht seit mehr als 20 Jahren Jugendlichen eine direk­te und offene Begeg­nung mit queeren Men­schen. Mith­il­fe dieser per­sön­lichen Begeg­nung entste­ht die Gele­gen­heit zu einem offe­nen Dia­log und dem Abbau von Berührungsäng­sten und Vorurteilen. Die Mit­glieder von ABQ sind wohl nicht sel­ten die ersten schwulen, les­bis­chen und trans Men­schen, mit denen sich Schüler*Innen aus­tauschen kön­nen. Somit leis­tet ABQ mit ihren Schulbe­suchen einen wichti­gen Beitrag gegen Diskri­m­inierung und für einen offe­nen Umgang mit ver­schiede­nen Lebens- und Liebesfor­men. Der Vere­in ABQ ist in der Zwis­chen­zeit pri­vat finanziert. Nach mehreren Jahren Unter­stützung unter­stützte der Kan­ton Bern das Schul­pro­jekt 2019 let­zt­mals mit 7000 Franken.

Pub­lik gemacht – und damit für heftige Entrüs­tung gesorgt – hat die Motion am 5. März die Zeitung «Der Bund». Im Namen von hab queer bern haben wir einen Leser­brief an den «Bund» geschrieben, der auch – allerd­ings stark gekürzt – auch abge­druckt wurde.

Leserbrief zum Artikel «SVP-Politiker wollen homosexuelles Schulprojekt verbieten» vom 5. März 2021

Die pen­sion­ierte Sportlehrerin und SVP-Gross­rätin Sabi­na Geiss­büh­ler will im Kan­ton­spar­la­ment die Schulbe­suche des Vere­ins ABQ ver­bi­eten, weil sie befürchtet, dass cis-het­ero Jugendliche «dann von denen schwär­men und diese cool find­en» – und deshalb «schwul» wer­den.

Mit ihrer Argu­men­ta­tion sug­geriert Turn­lehrerin Geiss­büh­ler – bewusst oder unbe­wusst –, dass Homo­sex­u­al­ität ansteck­end sein kön­nte: Schwul wer­den Buben nicht, weil ABQ im Unter­richt den Buben «sug­geriert», dass sie schwul sein kön­nten, weil sie «gerne miteinan­der Fuss­ball spie­len», son­dern weil manche eben schwul sind. Die sex­uelle Ori­en­tierung ist so wenig frei wählbar, wie Linkshändigkeit – die wohl Sabi­na Geiss­büh­ler als junge Lehrerin auch kor­rigiert hat.

Wie abstrus Gross­rätin Geiss­büh­ler denkt, beweist das Beispiel «Fuss­ball». Würde tat­säch­lich hin­ter jed­er Berührung eine homo­sex­uelle Ansteck­ungs­ge­fahr lauern, die Het­ero­sex­uelle befall­en kön­nte, müsste es im Mannschaft­sport bedeu­tend mehr Les­ben und Schwule geben. Wer­den nun alle Schwinger von Cur­din Orlik «angesteckt» und wer­den schwul? Und ist er erst seit einem Jahr «ansteck­end», oder war er dies schon vor seinem öffentlichen Com­ing-out vor genau einem Jahr?

Gehen wir – wie Frau Geiss­büh­ler – davon aus, dass sechs Prozent (aktuelle Zahlen gehen von höheren Werten aus) der Schüler*innen anders lieben, sitzt fak­tisch in jed­er Klasse min­destens eine queere Per­son. Damit ist die The­ma­tisierung von anderen Lebens- und Liebesfor­men als die cis-het­ero­nor­ma­tive richtig und wichtig, geht es doch dabei vor allem um den Abbau von Vorurteilen und damit ver­bun­de­nen Stig­ma­tisierung in der Schule und in der Gesellschaft. Und dabei geht es nicht nur um Schwule, son­dern um sex­uelle und geschlechtliche Vielfalt.

Daniel Frey, Vizepräsi­dent hab queer bern