Queere Fragen an queere Kandidierende für den Berner Stadtrat und die Antworten von Ursina Anderegg (bisher, GB), Timur Akcasayar (bisher, SP), Lea Bill (bisher, GB), Nik Eugster (neu, FDP), Joel Hirschi (neu, JFDP), Claude Meier (neu, FDP), Dominic Nellen (neu, SP), Tabea Rai (bisher, AL), Michael Ruefer (bisher, GLP), Siméon Seiler (neu, GB) und Marcel Wüthrich (bisher, GFL).

Warum ist die Sichtbarkeit von queeren Politiker*innen im Berner Stadtrat wichtig?
Ursina Anderegg: Sichtbarkeit von unsichtbar gemachten sozialen Gruppen ist grundsätzlich überall wichtig. Entsprechend auch in den Parlamenten. Zudem ist natürlich auch wichtig, dass die Perspektiven von möglichst vielen Bevölkerungsgruppen in Parlamenten vertreten sind.
Timur Akcasayar: Sie zeigt der LGBTIQ-Community, dass sie in der Politik vertreten ist und die Anliegen direkt eingebracht werden. Die Sichtbarkeit kann auch andere dazu ermutigen, selbstbewusster zu sein und sich offener in der Gesellschaft und Öffentlichkeit zu zeigen.
Lea Bill: Mein Ideal ist es, dass der Stadtrat die Stadtberner Bevölkerung widerspiegelt, mit all ihrer Vielfalt, um so allen ein Gesicht und damit auch ein Gewicht im politischen Prozess zu geben. Und da gehören queere Politiker*innen selbstverständlich dazu.
Nik Eugster: Auch auf städtischer Ebene gibt es noch viel zu tun. Gerade deshalb ist es wichtig, dass queere Politiker*innen sichtbar im Berner Stadtrat vertreten sind und die Anliegen der Community vertreten. Es muss auch weiterhin Freiräume für unsere Community geben — wie «hab queer bern» sie beispielsweise anbietet. Oder in der städtischen Verwaltung müssen die Bedürfnisse der LGBTIQ noch stärker berücksichtigt werden, sei gegenüber den städtischen Angestellten als auch gegenüber uns als Bürger*innen.
Joel Hirschi: Als Politiker*innen tragen wir Verantwortung und haben eine Vorbildfunktion inne. Gerade um Minderheiten in der Gesellschaft zu stärken und deren Akzeptanz in der heteronormativen Gesellschaft zu fördern ist es wichtig, dass die LGBTQ- Community auch in der Politik sichtbar ist. Zudem wollen wir mit unserer Präsenz auch andere Queers dazu bewegen sich politisch zu engagieren. Sei dies nun parteipolitisch oder in einem Verein.
Claude Meier: Die Sichtbarkeit ist nicht nur im Berner Stadtrat wichtig, sondern in der ganzen Gesellschaft und in Führungsfunktionen von Politik, Wirtschaft, Staat. Denn dies ermöglicht jüngeren Menschen vor dem Coming-out auch eine Identifikationsmöglichkeit oder zeigt generell der Gesellschaft: wir sind da und nehmen unsere Verantwortung wie jede*r Andere wahr.
Dominic Nellen: Sichtbarkeit ist der erste Schritt zur wichtigen Vernetzung. Mit Sichtbarkeit verknüpft ist jedoch auch der Anspruch, dass man/frau nicht ignoriert werden kann. Ich persönlich stehe als schwuler Mann hin und sage: ich möchte eine tolerante und soziale Stadt Bern. Jeder Mensch soll sich hier wohl fühlen, egal wen sie/er liebt oder mit wem sie/er lebt.
Tabea Rai: Es ist wichtig, dass sich die Vielfalt unserer Gesellschaft auch in Parlamenten widerspiegelt.
Michael Ruefer: Es gibt noch immer viel Diskriminierung und Stigmatisierung gegenüber LGBTIQ-Menschen. «Schwüppu», «Schwuchtle» sind auch im Vokabular von vermeintlich toleranten Menschen zu finden, gehören sogar zum Jugendjargon. Für viele ähnlich unangenehm, wie wenn man People of Colour mit dem M*-Wort betitelt. Sichtbarkeit in der Politik hilft immer gegen Diskriminierung und für das Wohlergehen von LGBTIQ-Menschen, davon bin ich überzeugt.
Siméon Seiler: Es ist bei allen Minderheiten oder marginalisierten Gruppen wichtig, sichtbar zu sein. Einerseits, weil nur wir Expert*innen für unsere Bedürfnisse sind, andererseits weil Sichtbarkeit erst ermöglicht, dass jüngere Mitglieder unserer Communities sehen, dass auch eine trans Person oder eine Migrantin etc. weit kommen kann.
Marcel Wüthrich: Ich setze mich für Nachhaltigkeit, für Leben und für Lebensqualität ein. Das Queer-Sein ist ein Bestandteil der menschlichen Gesellschaft mit vielfältigen Facetten ihres Lebens, die bei nicht-queeren Menschen weniger verbreitet sind. Trotzdem werden LGBTIQ-Menschen leider auch in Bern nach wie vor von Mitmenschen diskriminiert oder sogar offen angegriffen («Hate Crimes»). Indem sich öffentliche Personen (nicht nur in der Politik bzw. im Stadtrat) möglichst selbstverständlich zu ihrem Queer-Sein bekennen, stützen sie die LGBTIQ-Community.

Der Anteil von queeren Politiker*innen ist im Stadtrat bereits relativ hoch. Wie wichtig ist dir der Kontakt zu anderen queeren Politiker*innen über die Parteigrenzen hinweg?
Ursina Anderegg: Der Kontakt unter queeren Politiker*innen ist mir vor allem dann wichtig, wenn’s um queere politische Anliegen geht, es macht viel aus, wenn in fast allen Fraktionen queere Stadträt*innen sind, die sich dann für ein Anliegen einsetzen können. Ansonsten ist es im Parlament wie in der ganzen Community – queer sein heisst nicht, dass wir uns alle persönlich nett finden oder gleicher Meinung sind.
Timur Akcasayar: Mir ist der Kontakt zu allen Politiker*innen wichtig und da ich nicht nach der sexuellen Orientierung frage, weiss ich auch nicht genau wer queer ist und wer nicht. Wichtig für mich ist, wer bei gesellschaftspolitischen Anliegen liberal ist und sich für die Menschen und die Natur einsetzt.
Lea Bill: Grundsätzlich ist der Austausch mit Politiker*innen über die Parteigrenzen hinweg ein wichtiger Teil der parlamentarischen Arbeit. Für eine enge Zusammenarbeit braucht es aus meiner Sicht aber gemeinsame Werte, da reicht queer sein alleine nicht.
Nik Eugster: Zur effektiven Verbesserung der Situation der LGBTIQ ist Sachpolitik, keine Parteipolitik gefragt. Ich habe keine Berührungsängste mit anderen Parteien. Dass der Anteil der queeren Politiker*innen im Stadtrat bereits relativ hoch ist, ist mir nicht aufgefallen. Kann der Anteil überhaupt zu hoch sein, wenn man beachtet, wie rückständig wir in gewissen uns betreffenden Themenbereichen noch sind?
Joel Hirschi: Der Austausch über Parteigrenzen hinweg ist essenziell und das nicht nur bei LGBTQ Themen. Es ist immer wieder spannend verschiedenste Themen mit Kolleg*innen aus allen politischen Richtungen zu diskutieren. Gerade auch bei Themen, welche die LGBTQ-Community betreffen herrscht längst nicht immer Einigkeit, aber das soll es auch nicht. Eine Demokratie lebt von ihren unterschiedlichen Meinungen.
Claude Meier: Der Kontakt über Parteigrenzen hinweg ist mir generell wichtig. Scheuklappen und Ideologie sind meiner Ansicht nach in der Politik nicht hilfreich. Politik bedeutet auch Mehrheiten zu finden, da braucht es Brückenbauer.
Dominic Nellen: Politik lässt sich nur machen, wenn über die eigenen Parteigrenzen hinaus Lösungen gesucht und gefunden werden. Politische Anliegen machen keinen Halt an Parteigrenzen. Für fast jedes Thema gibt es Ansprechpersonen in verschiedenen Parteien – so auch für queere Themen.
Tabea Rai: Es ist grundsätzlich sinnvoll über Parteigrenzen hinweg zusammenarbeiten. Es sollte mehr um Sachpolitik gehen als um Parteipolitik.
Michael Ruefer: Ich habe gerade gelesen, dass in Neuseeland 12 Prozent Schwule ins Parlament gewählt wurden und dachte mir: Ist das nun viel oder wenig? Wichtig ist mir ein sehr offenes Mindset und das pflegen wir im Stadtrat Bern glaub ich schon. Zur Frage des Kontakts: Wenn es sich anbietet und Sympathien da sind, sage ich: Auf jeden Fall. Und sonst gehört die Suche nach Allianzen, besonders für eine Partei im Sandwich wie die GLP, ohnehin zum «daily business».
Siméon Seiler: Wichtig, aber nicht bedingungslos wichtig. Zur LGBTQIA-Community zu gehören ist noch kein Garant dafür, dass wir am gleichen Strick ziehen können.
Marcel Wüthrich: Im Hinblick auf gemeinsame LGBTIQ-Anliegen ist dieser Kontakt tatsächlich wichtig, und er funktioniert auch (z.B. gemeinsame Motion für die Sicherstellung des Beratungsangebots von hab queer bern). Da die Angehörigkeit zur LGBTIQ-Community allein kein politisches Programm darstellt, ist mir dieser Kontakt aber nicht wichtiger als der generelle überparteiliche Kontakt, um Mehrheiten für politische Anliegen zu finden.

Die Stadt Zürich hat soeben mit dem Bau von Alterswohnungen für queere Personen begonnen. Würdest du ein solches Projekt in der Stadt Bern unterstützen?
Ursina Anderegg: Unbedingt. Schutzräume und bedürfnisgerechte Räume braucht’s nicht nur für aktivistische oder feiernde Gruppen, sondern auch für ältere Menschen. Wichtig bei solchen Projekten finde ich immer, dass diese mit den Menschen die diesen Bedarf haben gemeinsam konzipiert wird, so wie es in Zürich gemacht wurde.
Timur Akcasayar: Falls mir jemand den gesellschaftlichen Nutzen solcher Alterswohnungen aufzeigen und mich überzeugen kann, warum nicht.
Lea Bill: Ich wünsche mir für alle queeren Menschen, unabhängig vom Alter, dass sie in einem vorurteilsfreien Umfeld leben können. Gerade im letzten Lebensabschnitt werden die Menschen abhängiger von anderen, ihr Alltag ist weniger selbstbestimmt. Hier gilt es deshalb besonders hinzuschauen, und zu garantieren, dass queere Menschen weiterhin sich selbst sein können. Ich finde deshalb das Projekt in Zürich super und würde ein solches in Bern auf jeden Fall unterstützen.
Nik Eugster: Die Zusammenarbeit der Stadt Zürich mit dem Verein queerAltern ist vorbildlich und ein ähnliches Projekt wäre für Bern wünschenswert. Wenn ein solches Projekt auch in der Berner Community entstehen würde, wäre es wichtig, dass die Stadt Bern hier aktiv mitzieht. Das Bedürfnis und die Initiative sollten jedoch aus der Community kommen.
Joel Hirschi: Definitiv! Die Bedürfnisse von älteren Queers sind andere als jene von Hetero Senior*innen. Wenn eine Nachfrage besteht und es Investoren gibt, die den Willen haben ein Queeres Altersheim zu realisieren ist das sicherlich begrüssenswert. Was ich jedoch wichtiger in dieser Hinsicht finde ist, dass sich auch konventionelle Altersheime an die neuen Gegebenheiten anpassen und ihr Personal weiterbilden. Generell gehören die Bedürfnisse queeren Senior*innen in die Pflegeausbildung integriert.
Claude Meier: Ich finde das Zürcher Projekt äusserst spannend. Das Engagement von privaten Organisationen und Vereinen zum Bau und Betrieb von Alterswohnungen für queere Personen finde ich sehr begrüssenswert und sicher ein Vorbild für weitere Städte der Schweiz. Aus meinen Erfahrungen als ehemaliger Geschäftsführer der kantonalen Organisation der Arbeitswelt (OdA) Gesundheit Bern bin ich in gesundheitspolitischen Themen sensibilisiert. Damals pflegte ich einen engen Austausch mit den Gesundheitsverbänden im Kanton Bern, vom Pflegefachfachverband SBK bis zur Ärztegesellschaft, über den Spitzexverband, den Heimverband Curaviva bis zum Spitalverband und der kantonalen Gesundheits- und Fürsorgedirektion. Dabei lag mein Fokus vorwiegend beim Auf- und Ausbau der beruflichen Gesundheitsausbildungen im Kanton Bern. Denn ohne Gesundheitspersonal schlussendlich auch keine (queeren) Alterswohnungen.
Dominic Nellen: Ich stehe für bezahlbaren und zeitgerechten Wohnraum für alle Bevölkerungsgruppen ein. Alterswohnungen für queere Personen erachte ich als sehr sinnvoll und förderungswürdig. Es kommen nun mehr Personen ins höhere Alter, die ein Leben lang offen queer gelebt haben. Ihren besonderen Bedürfnissen muss Rechnung getragen werden. Bis zum betreuten Wohnen und dem Pflegeheim. Queer sein heisst nicht nur Party feiern.
Tabea Rai: Ja, sofort!
Michael Ruefer: Wir haben ja ganz viele partizipative Projekte in Bern, das weiss ich aus sechs Jahren in der Quartierkommission Nordquartier. Ganz viele tolle Leute engagieren sich ehrenamtlich in Testplanungen, z.B. bei der Überbauung Wifag oder im Wankdorfareal. Hier werden solche Wohnformen diskutiert. Wenn das Stadtparlament hier unterstützen kann, bin ich gerne dabei. Finanziell fände ich eine Unterstützung über die bestehenden Wohnbauförderungen sinnvoll.
Siméon Seiler: Geschlecht und Sexualität sind auch im Alter ein Thema und es wäre unschön, im Alter das Coming-out rückgängig machen zu müssen, wenn Heimpersonal oder Mitbewohner:innen nicht sensibilisiert sind. Sofern eine Sensibilisierung in den üblichen Institutionen nicht machbar ist, sind separate Wohnungen eine Option. Vielleicht haben wir ja aber auch einfach mehr Gemeinsamkeiten und möchten dies auch im Alter pflegen.
Marcel Wüthrich: Selbstverständlich, denn dies ist ein ausgewiesenes Bedürfnis. Zu definieren wäre hier der städtische Beitrag; diesen sehe ich nicht in erster Linie auf finanzieller, sondern auf ideeller Basis.

Wir wissen: Noch immer ist für viele LGBTIQ ein «Safe Space» wichtig. Sollten Vereine und Organisationen, die sich dafür einsetzen, von der öffentlichen Hand nicht besser unterstützt werden? Etwa finanziell?
Ursina Anderegg: Grundsätzlich finde ich, es gehört zur Aufgabe der öffentlichen Hand, besonders verletzliche soziale Gruppen zu unterstützen, finanziell, aber auch durch gesellschaftliche Sensibilisierungsarbeit. In Bezug auf „Safe Spaces“ müsste man konkret anschauen, welche Art von Safe Spaces man wie ermöglichen will. Wenn zum Beispiel die Stadt mehr Freiräume grundsätzlich fördert, ist es auch niederschwelliger, sich geschützte Räume für eine gemeinschaftliche Nutzungen, Partys, etc. anzueignen. Geht es z.B. um LGBTI-Menschen mir Fluchterfahrungen, welche in Asylunterkünften untergebracht sind, braucht es unbedingt finanzielle Unterstützung der öffentlichen Hand, um diese Gruppe speziell zu schützen.
Timur Akcasayar: Selbstverständlich, je nach ihren Bedürfnissen. Grundsätzlich sollte die öffentliche Hand entsprechende Räumlichkeiten wie Gemeinschaftszentren für Gruppen und Organisationen zur Verfügung stellen und dafür sorgen, dass in der Öffentlichkeit (Schulen, Clubs, Veranstaltungen etc.) Diskriminierungen und Hass keinen Platz haben.
Lea Bill: Die Stadt Bern soll lebenswert für alle sein und dazu gehören auch Safe Spaces für LGBTIQ. Ich befürworte es deshalb, dass die Stadt Bern mit den Organisationen zusammenarbeitet und sie unterstützt, auch finanziell.
Nik Eugster: Ich bin seit meiner frühen Jugend Mitglied von «hab queer bern» und war Mitgründer der Jugendgruppe «Coming Inn». Ich kenne deshalb die Relevanz dieser «Safe Spaces» und bin stark dafür, dass sie auch finanziell gefördert werden. Sie sind wichtige Ergänzungen zu kommerziellen Angeboten, z.B. im Bereich der Beratung.
Joel Hirschi: Ich bin der Ansicht, dass es heute viele Organisationen und Vereine gibt, wo sich Queers treffen und austauschen können. Generell finde ich, dass wir uns von der Separierung von Hetero- und LGBTQ Vereinen langsam trennen. Heteros und Queers feiern zusammen, Essen zusammen, arbeiten zusammen und leben zusammen. Eine zusätzliche Unterstützung seitens des Staates finde ich daher nicht nötig. Es gibt heute aber immer noch genug Vereine wo man sich auch unter Queers treffen kann. Erfolg keine Separierung daher keine Finanzierung seitens öffentlicher Hand nötig.
Claude Meier: Auf lokaler Ebene arbeiten viele privatrechtliche Organisationen im Milizsystem für solche «Safe Spaces». Diesem Engagement von Organisationen wie der HAB, Pinkcross, LOS, FELS, Network, Aids Stiftung und vielen weiteren danke ich. Seit mehr als 15 Jahren zahle ich in diversen dieser Vereine einen Mitgliederbeitrag, weil ich deren Arbeit gesellschaftlich als äusserst relevant erachte.
Dominic Nellen: Eine Förderung ist absolut zwingend! Diese Organisationen schaffen ein Netzwerk, das sich für queere Personen einsetzt – das ist wichtig, denn sonst stehen Menschen plötzlich alleine da. Eine gute Beratung und Unterstützung ist zentral, damit jeder Mensch seinen Weg gehen kann und es ihm gut geht. Ich will, dass in der Stadt Bern solche Vereine selbstverständlich mit genügend Ressourcen bestehen können.
Tabea Rai: Es braucht auch unabhängige nicht vom Staat unterstützte Organisationen gibt. Es wäre jedoch wichtig, dass gewisse Projekte wie Beratungsangebote und oder sogenannte Safe Spaces, auch vom Staat unterstützt würden. So wie wir dies für das Beratungsangebot der HAB 2017 überparteilich gefordert haben.
Michael Ruefer: Solche Angebote sind eminent wichtig. Niederschwellige Anlaufstellen, Beratungen für Menschen in Unsicherheit. Ich weiss aus eigener Erfahrung, dass Diskriminierung häufig ganz subtil passieren kann. Einer LGBTIQ-Person wird schnell mal unterstellt, sie sei launisch, deprimiert, frustriert oder unseriös, da häufig nicht an eine Familie gebunden. Als Gesellschaft müssen wir hier viel weiterdenken, gerade in diesen sehr anspruchsvollen Zeiten. Syndemie ist für mich hier ein gutes Stichwort. Eine komplexe Welt bringt komplexe Wirkungszusammenhänge und Krankheitsbilder. Wie es um die Beratungsangebote in der Stadt steht, weiss ich ehrlich gesagt zu wenig genau. Und so weiss ich auch nicht, wie arg der finanzielle Unterstützungsbedarf ist für solche Angebote. Ich bin schon zu haben, aber man muss sich dafür vielleicht von anderen, überholten Angeboten verabschieden. Corona bietet doch eigentlich eine gute Gelegenheit dafür, nicht?
Siméon Seiler: Meiner Meinung nach gibt es keine «Safe Spaces», allenfalls «SafER Spaces», also Räume, die etwas sicherER sind. Eine Förderung dieser Räume sehe ich als sinnvoll an, auch finanzieller Art.
Marcel Wüthrich: Ja, zweifellos. Ich beobachte hier eine gewisse Geringschätzung durch die kantonale Gesundheitsdirektion. Die Stadt hingegen tut sehr viel (u.a. Gleichstellungs-Fachstelle; Abbau von administrativen Hürden) und nimmt ihre Vorbildfunktion durchaus ein; Bern ist auch Mitglied des Rainbow Cities Network.

Beratungsangebote für queere Jugendliche werden finanziell unterstützt. Würdest du dich dafür einsetzen, dass Beratungsangebote und Treffpunkte für ältere LGBTIQ von der Stadt Bern finanziell unterstützt werden?
Ursina Anderegg: Ja. Beratungsangebote sind wichtig für die einzelnen Menschen, die Bedarf an Beratung haben und haben eine wichtige präventive Wirkung an der die öffentliche Hand auch ein Interesse hat, bzw. haben sollte.
Timur Akcasayar: Die begrenzten Mittel der Stadt Bern sollten wir für zusätzliche Angebote für die Jugendlichen verwendet werden und die Schulen und ausserschulischen Trägerschaften bei LGBTIQ-Themen besser unterstützt werden. Die Erwachsenen haben im Gegensatz zu den Jugendlichen genügend Möglichkeiten sich zu organisieren und Hilfe zu suchen, da braucht es aktuell keine speziellen Angebote der Stadt.
Lea Bill: Beratungsangebote sind aus meiner Sicht für alle Altersgruppen wichtig. Ich befürworte deshalb auch eine finanzielle Unterstützung der Beratungsangebote für ältere queere Menschen durch die Stadt Bern.
Nik Eugster: Jede Altersgruppe hat ihre individuellen Anliegen und deshalb ist eine Segmentierung der Beratungsangebote und Treffpunkte klug. Es ist aber aus organisatorischer und ökonomischer Sicht auch klug, sie in einer Trägerorganisation wie «hab queer bern» zusammenzufassen und nicht jede einzelne Subgruppe separat zu subventionieren.
Joel Hirschi: Ich finde die Bedürfnisse unterscheiden sich zwischen den Generationen. Junge Queers benötigen häufiger Beratung, wenn es um Coming-out Fragen geht, während ältere Queers mit anderen Herausforderungen konfrontiert sind. Ich denke es gibt genug Beratungsangebote, die häufig auch von den Dachorganisationen oder den Kantonen und Gemeinden angeboten werden. Schliesslich ist es auch nicht verboten, dass sich Queers untereinander helfen und dafür ist keine öffentliche Hand nötig.
Claude Meier: Persönlich bin ich nicht derjenige, der als erstes nach dem Staat ruft, um gesellschaftlich relevante Aufgaben zu übernehmen. Ich habe ein hohes Vertrauen in die Menschen, dass wir als Gesellschaft zusammen etwas gemeinsam aufbauen, führen und weiterentwickeln können, sei dies z.B. in den wichtigen Aufgaben der Beratungsleistungen für LGBTIQ-Fragen. Als mein schwuler Onkel Anfangs der 90er Jahren bei uns privat zu Hause von meinen Eltern aufgrund seiner Aids-Erkrankung bis zu seinem Tod gepflegt wurde habe ich u.a. gelernt, wie wichtig das Netzwerk, Familie, Freunde und Beziehungen sind, um schwierige Situation auf privater Ebene zu lösen.
Dominic Nellen: Wie ich oben schon sagte: alle Menschen sollen Beratungsangebote vorfinden. Ich setze mich klar dafür ein, dass es das auch für ältere queere Menschen gibt.
Tabea Rai: Beratungsangebote für LGBTIQ Menschen sollen unabhängig von der Alterszielgruppe unterstützt werden.
Michael Ruefer: Gegenfrage: Wie wäre es denn, wenn die Pro Senectute dieses Thema stärker bewirtschaftet? Wie bei der oberen Frage muss ich zugeben: Darüber weiss ich zu wenig. Vielleicht kommen wir mit neuen Akzenten in bestehenden Gefässen hier weiter. Zusätzliche finanzielle Unterstützungen werden es in den nächsten drei Jahren extrem schwer haben, es steht uns Sparrunde um Sparrunde ins Haus. Aber vielleicht ist es ja auch gut, einmal bei bestehenden Angeboten über die Bücher zu gehen und offen zu sein für Neues.
Siméon Seiler: Ja. Treffpunkte zum informellen Austausch für Menschen aus dem LGBTQIA-Spektrum haben in den letzten Jahrzehnten leider eher abgenommen. Und auch erwachsene Menschen aus diesem Spektrum benötigen manchmal Hilfe und Beratung, sei es im Fall von Diskriminierung oder bei einem späten Coming-Out zum Beispiel. Wir wissen, dass beispielsweise trans Menschen es auf dem Arbeitsmarkt nicht einfach haben und es vielleicht dann an ökonomischen Ressourcen fehlt, um sich beraten zu lassen. Ihnen kämen subventionierte Beratungen sicher zu Gute.
Marcel Wüthrich: Ich fände es richtig, wenn die LGBTIQ-Organisationen generell (und nicht nur von der Stadt Bern!) finanziell unterstützt würden und diese dann selber ihre Projekte priorisieren würden, ohne dass von aussen einzelnen Interessen (z.B. Jugendliche und Ältere) bevorzugt oder sogar gegeneinander ausgespielt werden müssen.

Im November 2018 wurde im Berner Stadtrat das Postulat «Massnahmen zur Gleichstellung und zur Sicherung der Grundrechte von trans Personen» eingereicht. Wo steht die Umsetzung momentan?
Ursina Anderegg: Das Postulat hat den Gemeinderat aufgefordert, mit Organisationen, welche sich für trans Rechte einsetzen, Massnahmen zu erarbeiten und diese im Rahmen des Aktionsplanes Gleichstellung 2019–22 zu verankern. Dies ist auch geschehen, der Aktionsplan ist auf der Website der Stadt einsehbar.
Timur Akcasayar: Der Gemeinderat empfiehlt diesen Prüfungsauftrag zur Annahme und das Anliegen ist seit dem April 2019 für die Behandlung im Stadtrat bereit (so wie etliche andere Vorstösse auch). Als gewählte Vertreter*innen müssen wir so oder so dafür sorgen, dass die Anliegen von trans* Personen bei den Sachgeschäften und bei der Verwaltung berücksichtigt wurden.
Lea Bill: Das Postulat wurde bereits im April 2019 vom Gemeinderat zur Annahme empfohlen, aufgrund des Pendenzenstapels des Stadtrats wurde das Postulat bis heute jedoch nicht traktandiert. Und damit ist auch die Umsetzung, also die Prüfung des Anliegens, noch nicht aufgegleist.
Joel Hirschi: Da ich selbst kein gewähltes Mitglied des Stadtrates bin, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen, wie der aktuelle Stand ist. Ich konnte lediglich in Erfahrung bringen, dass der Gemeinderat das Postulat im April 2019 als erheblich erklärt hat. Somit gibt sich der Gemeinderat nun ein Jahr Zeit einen Bericht zu erstellen um auf die Fragen der Antragsteller*innen einzugehen. Mit einer Antwort kann spätestens im April 2020 gerechnet werden.
Dominic Nellen: Im April 2019 hat der Gemeinderat dem Stadtrat beantragt, das Postulat erheblich zu erklären. Das Postulat wird in einiger Zeit im Stadtrat behandelt. Dann geht es um die Umsetzung. Es müssen konkrete Massnahmen zur Gleichstellung von trans* Personen erarbeitet und im Rahmen eines Aktionsplans umgesetzt werden. Das ist für trans* Personen in der Stadt Bern zentral. Bern muss hier eine Vorreiterrolle einnehmen.
Tabea Rai: Der Vorstoss wurde noch nicht behandelt. Die Antwort des Gemeinderats ist zwar positiv aber ohne jegliche Begründung: «Der Gemeinderat beantragt dem Stadtrat, das Postulat erheblich zu erklären.»
Michael Ruefer: Das müsstet ihr die Verwaltung oder dann die Unterzeichnenden des Vorstosses fragen. Ich war 2018 noch nicht im Stadtrat. Es ist an der Verwaltung, den Prüfauftrag für Massnahmen zur Gleichstellung von trans Personen umzusetzen. Ich sehe aber, dass die Rechte und das Wohlbefinden von LGBITIG-Personen in den Aktionsplan zur Gleichstellung von Mann und Frau «+» eingeflossen sind. Ich bin gespannt, welche Fortschritte man bis 2022 erzielt.
Siméon Seiler: Sofern ich mich nicht irre, wurde das Postulat noch gar nicht behandelt. Anscheinend werden viele Vorstösse erst nach zwei bis drei Jahren traktandiert. Was für unsere Community in dem Fall natürlich speziell ungünstig ist.
Marcel Wüthrich: Der Gemeinderat beantragt die Annahme des Postulats, welches ich mit eingereicht habe; es liegt nun am Stadtrat, das Postulat zu traktandieren und es zu überweisen.

Seit 2018 umfasst der Auftrag der Fachstelle für die Gleichstellung von Frau und Mann auch die Förderung der rechtlichen und tatsächlichen Gleichstellung von LGBTIQ-Menschen in allen Lebensbereichen. Der Aktionsplan 2019–2022 enthält erstmals auch Massnahmen hierzu. Bist du mit dem diesbezüglich bisher erreichten zufrieden? Was fehlt in deinen Augen noch?
Ursina Anderegg: Die Erweiterung auf diese Themen schon mal ein sehr wichtiger Schritt hinsichtlich der Sichtbarkeit der Themen und in Bezug auf Ressourcen für Massnahmen. Es ist schon einiges in die Gänge gekommen, die Zusammenarbeit mit Fachorganisationen und Interessensgruppen für die Umsetzung der verschiedenen Massnahmen scheint gut zu laufen. Es gibt natürlich immer noch Luft nach oben, zum Beispiel in Bezug niederschwellige administrative Anpassungen von Vornamens- und Geschlechtseintrag für trans und nonbinäre Menschen bei städtischen Behörden. Um solche Massnahmen voranzutreiben, muss die Stadt aber genug Mittel zur Verfügung stellen – aktuell stehen die Zeichen durch die kurzsichtige Sparpolitik des Gemeinderates hierzu nicht gut. Der Gemeinderat ist bereit, auch bei der Fachstelle für die Gleichstellung zu sparen, wir hoffen, wir können das abwenden.
Timur Akcasayar: Dass die LGBTIQ-Anliegen in den Auftrag der Fachstelle aufgenommen wurde war ein wichtiger Schritt. Die festgelegten Massnahmen gehen in die richtige Richtung und im Moment ist es noch zu früh für eine Beurteilung. Mir fehlen hingegen noch Massnahmen bei den Schulen und bei den religiösen Institutionen und Organisationen.
Lea Bill: Ich finde, dass die neuen Massnahmen einer Vielfalt von Lebensrealitäten und Bedürfnissenn Rechnung tragen, was ich sehr begrüsse. Weil die Fachstelle — und damit auch der Aktionsplan — ein so grosses Spektrum abdeckt, fallen auf die einzelnen Bedarfsgruppen immer nur einige wenige Massnahmen. Es ist klar, dass damit auch Lücken entstehen – zum Beispiel gibt es keine Massnahmen für ältere queere Menschen. Zudem muss im Hinterkopf behalten werden, dass in Zeiten von Sparmassnahmen, die Massnahmen des Aktionsplans Gleichstellung eine der ersten sind, die gestrichen werden. Hier müssen wir ein Auge darauf halten und dies verhindern.
Nik Eugster: Es werden viele Lippenbekenntnisse gemacht und grundsätzlich ist z.B. der Beitritt der Stadt Bern zum «Rainbow Cities Network» zu begrüssen. Und trotzdem fehlt eine sichtbare Unterstützung der LGBTIQ-Community. Warum gibt es in der Bundeshauptstadt keine Pride-Veranstaltungen? Wo bleibt eine Beflaggung im Pride-Monat? Warum liegt Bern Welcome keine Priorität auf queeren Income-Tourismus? Trotz vieler Konzepte: die LGBTIQ-Community ist in der Stadt Bern nicht wirklich sichtbar. Schade.
Dominic Nellen: Zunächst bin ich froh, dass im Aktionsplan erstmals konkrete Massnahmen für queere Menschen aufgeführt sind, so etwa bei der häuslichen Gewalt, im Asylwesen und in der Jugendarbeit. Auch will die Stadt einen Aufritt frei von Stereotypen in Bild und Wort. All diese Massnahmen gilt es konsequent umzusetzen, damit der Aktionsplan kein Papiertiger bleibt. Das will ich aktiv überwachen und wenn notwendig nachdoppeln. Eine Broschüre der Stadt Bern mit einem Frauenpaar auf dem Titelbild – das wünsche ich mir für das Jahr 2021!
Tabea Rai: Dieser Aktionsplan ist als Grundlage wichtig und gut. Es reicht aber nicht solche Ziele in den Legislaturzielen festzuschreien und an der Pride in Bern «Flagge zu zeigen». Mit der Mitgliedschaft bei den Rainbow Cities Network und dem Aktionsmonat LIKEEVERYONE wurden erste Schritte gemacht. Nun ist es auch an uns Stadträt*innen Forderungen aufzustellen, welche der Gemeinderat im Rahmen des Aktionsplans umsetzen soll.
Michael Ruefer: Ich habe mir den Aktionsplan kurz angeschaut und finde die Massnahmen zur Diversity gut. Viele dieser Massnahmen sind aber schwer messbar und bedingen vor allem einen grossen Kulturwandel: Wie kriegt man Vorurteile aus den Köpfen raus? Wie schafft man es, dass sich LGBTIQ-Menschen wohl fühlen in einem heterodominierten Umfeld? Ich behaupte ketzerisch: So viel bietet die Stadt Bern für LGBTIQ nicht! Es gibt kaum noch Begegnungsorte, leicht überalterte Organisationen oder dann stark politisch vereinnahmte Treffpunkte – sage ich als Politiker;-) Spass beiseite: Ich fänds cool, wenn sich die Stadt zusammen mit Trägerschaften und Privaten zum Beispiel für LGBITQ-Coworking-Spaces stark machen könnte. Unter einem solchen Dach würde dann ganz viel vereint: Arbeiten, essen, geniessen, Kultur, Events, Sport, vielleicht auch Wohnen. Coworking-Spaces rentieren nur zu ungefähr 40 Prozent (habe ich gelesen). Das fänd ich gut investiertes Geld.
Siméon Seiler: Die Ziele und Massnahmen sind für meinen Geschmack zu heteronormativ, aber in der Tendenz gut. Die Umsetzung wird den Dienststellen überlassen, die Fachstelle für Gleichstellung «begleitet» die Operationalisierung lediglich. Es ist mir unklar, was dieses «Begleiten» bedeutet. Allenfalls müssten hier schärfere Vorgaben gemacht werden, z.B. dass die Dienststellen ihre Umsetzungspläne bewilligen lassen müssten.
Marcel Wüthrich: Ich bin froh um die vorgenommene Ausdehnung des Gleichstellungsauftrags auf die sexuelle Orientierung, die Geschlechtsidentität, den Geschlechtsausdruck und die non-binären Aspekte. Auch diesbezüglich kommt der Stadt Bern eine Vorbildfunktion zu. Insofern bin ich zufrieden; sollte tatsächlich etwas fehlen, gehe ich davon aus, dass sich die LGBTIQ-Organisationen melden.

Die im Internet veröffentlichte Liste der momentanen Stadträt*innen sind auch die Interessenverbindungen aufgeführt. Die Mitgliedschaft zu den LGBTIQ-Dachverbänden oder lokalen Gruppen fehlt aber. Ist die Arbeit von Pink Cross, Lesbenorganisation Schweiz, Transgender Network Switzerland und InterAction politisch zu unwichtig?
Ursina Anderegg: Auf der Stadtratsseite sind nur diejenigen Interessensverbindungen aufgeführt in Bezug auf Vereine, Organisationen, die von der Stadt (mit)finanziert werden. Dies ist reglementarisch so vorgesehen. Auf die von Dir aufgeführten Organisationen trifft dies nicht zu. Vereinsmitgliedschaften werden aber teilweise auf den Partei- oder persönlichen Websites aufgeführt.
Timur Akcasayar: Die Frage ist doch, warum keiner aus den Vorständen dieser Organisationen für den Stadtrat kandidiert.
Lea Bill: Selbstverständlich ist die Arbeit der genannten Verbände sehr wichtig für queere Anliegen. Dass die Verbände unter den Interessenverbindungen fehlen ist dementsprechend schade und zeigt, dass es von beiden Seiten mehr Effort zur Vernetzung bräuchte.
Nik Eugster: Eine gute Frage, welche diesen Stadträt*innen zu stellen ist. Meine Mitgliedschaften bei «hab queer bern», «Pink Cross» und «Network» habe ich auf meiner Webseite öffentlich und mit Stolz aufgeführt.
Joel Hirschi: Ich würde sicherlich verneinen, dass die Arbeit der LGBTQ- Organisationen politisch irrelevant wäre. Ganz im Gegenteil sogar. Das Pink Cross, die LOS und das Transgender Network Switzerland leisten unverzichtbare politische Arbeit die schon unzähligen Früchte getragen hat. Ich hoffe im Hinblick auf die Ehe für alle natürlich, dass sich diese Arbeit hoffentlich gelohnt hat. Was den Stadtrat betrifft so glaube ich können die Stadträt*innen die Interessenverbindungen gar nicht angeben, wenn sie nicht ein Amt in einer dieser Organisationen bekleiden. Eine reine Mitgliedschaft reicht leider nicht aus, um auf der Liste der Interessensverbindungen aufgelistet zu werden. Dieser Eindruck erweckte sich mir beim Recherchieren auf der Website des Stadtrates.
Claude Meier: Ich kenne die Hintergründe nicht, weshalb allfällige Interessenverbindungen von aktuellen Stadträt*innen nicht auf der Webseite öffentlich sind. Ich kann aber hier meine Verbindungen/Mitgliedschaften angeben, welche mir persönlich wichtig sind und deren Interessen ich zu weitem teile: Pink Cross, hab queer bern, Aids Stiftung Schweiz, HotellerieSuisse, FDP, Jungreisinnige Partei, FDP Radigal, FDP Service Public, Kaufmännischer Verband Bern, Staatsbürgerliche Gesellschaft Bern, Alumni Uni Bern, REGA, Paraplegiker Zentrum Schweiz und REKA.
Dominic Nellen: Vereinsmitgliedschaften fehlen in dieser Liste tatsächlich. Ich kann nur für mich sprechen: ich stehe zu meinen Interessenbindungen und Vereinsmitgliedschaften. Ich würde mich freuen, mich auch für queere Anliegen im Stadtrat engagieren zu können. In unserer Stadt zu leben soll Spass machen und schön sein. In aller Vielfalt.
Tabea Rai: Die Interessenverbindungen werden nach Kategorien geordnet. «Nur» eine Mitgliedschaft wird nicht aufgeführt. Ich bin der Meinung, dass es durchaus spannend wäre auch Angaben zu Mitgliedschaften zu machen, auch ohne Funktion in einer Organisation.
Michael Ruefer: Nein, das hat einfach mit dem Formular zu tun, das auf der Stadtratsseite aufgeschaltet ist und vom Ratssekretariat so vorgegeben wird. Vielleicht könnte man das einmal erweitern. Ich bin persönlich nicht so gerne in möglichst vielen Vereinen engagiert. Man muss sehen: Stadtrat und Kommissionen füllen den Kalender schon gut aus – so ein 20-Prozent-Pensum ist dies wohl schon und am Ende des Monats kriegt man fast nichts dafür – auch das kann für viele Bevölkerungskreise diskriminierend sein und eine grosse Barriere. Ehrenämter sollten erfüllend sein und keine Last. Ausserdem werden heute kurzfristige Engagements für bestimmte Projekte und Kampagnen immer wichtiger. Dafür habe ich eine gewisse Sympathie.
Siméon Seiler: Bei Interessenbindungen, welche für Mitglieder des Stadtrates erfasst werden, geht es vor allem um berufliche Verpflichtungen und wichtigen Ämter. Einfache Mitgliedschaften bei Verbänden sind nicht systematisch erfasst. Ich fände deren Erfassung sehr sinnvoll, und da würden sicher auch die LGBTIQ-Verbände dazu gehören. Mitgliedschaften erlauben einen Rückschluss auf die politische Ausrichtung einer Person.
Marcel Wüthrich: Im Stadtrats-Informationssystem werden blosse Mitgliedschaften nicht aufgeführt, sondern relevante politische Ämter und Mandatsverhältnisse, die gegebenenfalls auch zu Interessenkonflikten führen könnten. Was mich persönlich angeht: Ich führe meine Mitgliedschaften bei Pink Cross und hab queer bern sowohl auf meiner Partei-Homepage wie auch im Wahlprospekt und durch Beiträge in den Social Media gerne auf. Also nein, diese Mitgliedschaften sind alles andere als unwichtig und sollten zur Selbstverständlichkeit der Lebensform und zur Sichtbarkeit von LGBTIQ-Menschen beitragen.
