Gedanken zu unserem Jahresthema #queerePolitik

queerepolitik

Für 2016 haben die HAB als Jahres­the­ma “queere Poli­tik” aus­ge­sucht. Ein The­ma, das immer wieder die Gemüter erregt, sich aber nie­mand daran die Fin­ger ver­bren­nen will. Wir haben es trotz­dem gewagt und uns in der ersten Jahreshälfte

  • gegen die hin­terlistige CVP-Ehe-Ini­tia­tive gewehrt und gemein­sam die diskri­m­inierende Def­i­n­i­tion der Ehe als “Lebens­ge­mein­schaft von Mann und Frau” abgewehrt
  • wir haben uns zusam­men mit Queer­amnesty mit dem The­ma “Sex­uelle Ori­en­tierung und/oder Geschlecht­si­den­tität als Flucht­grund” befasst
  • und an einem leb­haften Podi­um darüber disku­tiert, wie sich die “LGBT-Com­mu­ni­ty auf poli­tis­ch­er Ebene entwickeln/verhalten sollte”.

Die fol­gen­den drei Sätze stam­men aus einem Artikel, der vor 20 Jahren im ‘Ursus Insid­er’ zum The­ma “Schwule und Poli­tik” erschienen ist und das dama­lige HAB-Vor­standsmit­glied Mar­tin Brud­er­er geschrieben hat:

Der HAB-Vor­stand wün­scht sich den­noch das Wieder­au­fleben der Polit­gruppe. Eine genaue Beobach­tung der Tage­spoli­tik, dif­feren­zierte Mei­n­ungs- und Gewis­sens­bil­dung inner­halb des Vere­ins, Infor­ma­tionsver­ar­beitung und entsprechen­des Reagieren kön­nten von ihr vor­angetrieben wer­den. Poli­tis­che Strate­gie entste­ht näm­lich nach wie vor nicht von selb­st.

Die Geschichte unser­er “Bewe­gung” ist fest mit der Poli­tik ver­bun­den. Sog­ar die “berühmte” Hochzeit zwis­chen Bart Storm und Stephan Diggel­mann 1995 in der Bern­er Nydeg­gkirche wurde als Akt “schwuler Poli­tik” ver­standen. Und Pfar­rer Klaus Bäum­lin, der die Bei­den mit einem grossen medi­alen Getöse traute, wollte mit ein­er der kirch­lichen Trau­ung ähn­lichen Zer­e­monie Zeichen der Wiedergut­machung set­zten.

Ist es nicht auf­fäl­lig, dass wir uns immer mit irgendwelchen Kom­pro­mis­sen zufriedengeben müssen? Pfar­rer Bäum­lin traute Bart und Stephan mit ein­er “ähn­lichen” Zer­e­monie wie Het­eros. Und unsere Part­ner­schaften kön­nen wir bloss “eheähn­lich” ein­tra­gen lassen.

Unsere politische Agenda - formuliert für das Podium "Wie sich die LGBT-Community auf politischer Ebene entwickeln/verhalten sollte"
Unsere poli­tis­che Agen­da — for­muliert für das Podi­um “Wie sich die LGBT-Com­mu­ni­ty auf poli­tis­ch­er Ebene entwickeln/verhalten sollte”

Die Frage sei an dieser Stelle erlaubt: Wollen wir uns ewig mit diesen Kom­pro­mis­sen zufriedengeben – und die poli­tis­che Ver­ant­wor­tung dafür an unsere Ver­bände Pink Cross, LOS und TGNS delegieren; in der Hoff­nung, dass diese sowohl per­son­elle Pow­er als auch finanzielle Mit­tel sel­ber find­en?

In Bern wurde die Com­mu­ni­ty viele Jahre von den Politschwest­ern der HAB und den Kom­merz­schwest­ern des Ursus Club geprägt. 1997 mussten die Kom­merz­schwest­ern fest­stellen, dass sie ihren Freiraum, wo sich “Män­ner unter­schiedlich­sten Alters, aus allen möglichen Berufen und mit dur­chaus ver­schiede­nen Inter­essen, Weltan­schau­un­gen und poli­tis­chen Ansicht­en tre­f­fen kon­nten“, nicht mehr benötigt wurde. Die Gäste blieben aus, das Lokal an der Junkern­gasse 1 wurde verkauft. 2007 ereilte der HAB fast das gle­iche Schick­sal: das ander­Land in der Bern­er Mat­te kon­nte aus finanziellen Grün­den nicht mehr gehal­ten wer­den und musste aufgegeben wer­den.

Sind die HAB nach dem Umzug in die Vil­la Stuc­ki endgültig unpoli­tisch gewor­den und beschränken sich vor Wahlen auf die Verteilung von Fly­ern von irgendwelchen poli­tis­chen Men­schen? Nicht unbe­d­ingt. Der Umzug raus aus dem “Ghet­to” des ander­Land in ein von ver­schiede­nen (het­ero­sex­uellen) Grup­pen genutzten Quartiertr­e­ff­punkt emp­fand ich per­sön­lich immer als starkes (poli­tis­ches) Sig­nal. Und ist nicht auch die äusserst wichtige Arbeit der Beratungs­gruppe immer irgend­wie mit der Poli­tik ver­bun­den? Aufge­baut wurde die Beratung der HAB ohne öffentliche Gelder in den 80er Jahren. Nach langem Kampf beka­men die HAB in den 90ern erst­mals Geld aus öffentlich­er Hand – um das notabene in der Zwis­chen­zeit wieder gekämpft wer­den muss.

Dass wir LGBT 2016 inner­halb der Gesellschaft “aufrecht gehen” kön­nen, hat­te und hat immer etwas mit Poli­tik zu tun. So mussten sich in den 70ern die HAB öffentlichen Raum für die Vor­führung von Praun­heim-Fil­men erkämpfen. Heute gibt es in den Bern­er Kinos jährlich das Film­fes­ti­val ‘Queer­sicht’. Und wenn mir ein junger Sendungs­mach­er von Radio RaBe sagt, dass er erstaunt sei, dass ich im gayRa­dio nicht “schwul töne”, son­dern irgend­wie nor­mal, zeigt doch, dass auch gayRa­dio irgend­wie poli­tisch ist.

Dabei ver­ste­hen wir “queere Poli­tik” nicht als Arbeit inner­halb ein­er (linken oder recht­en) Partei, son­dern eher als Ein­mis­chung in die Poli­tik. So wer­den unseren Mit­gliedern am 28. Sep­tem­ber in der Vil­la Stuc­ki die Gele­gen­heit geben, die Kandieren­den unser­er LGBT-Com­mu­ni­ty ins poli­tis­che Kreuzver­hör nehmen zu kön­nen. Und dabei ste­ht für ein­mal nicht die Parteizuge­hörigkeit, son­dern die The­men rund um unser Jahres­the­ma #queere­Poli­tik im Vorder­grund.

Daniel Frey, Ver­ant­wortlich­er Pro­jek­te