Wie ich als Schwuler mit der Ablehnung meiner Mutter umging und schlussendlich glücklich geworden bin

In diesem Bericht schreibe ich über meine Zeit in der Pubertät, bis hin zum Jet­zt, in der Hoff­nung, dass klar wird, dass ich mich nicht dafür entsch­ieden habe, homo­sex­uell zu sein. Heute bin ich zwar sehr glück­lich damit und würde das auch nicht ändern, wenn ich kön­nte, doch es hat eine Zeit gegeben, da hätte ich es geän­dert, wenn es in mein­er Macht ges­tanden wäre.

18. Okto­ber 2017

Anfangs mein­er Pubertät fing sich meine Sex­u­al­ität an zu entwick­eln. Bere­its damals merk­te ich, dass ich mich zu den andern Jungs hinge­zo­gen fühlte auf sex­ueller Ebene. Ich tat dies als Phase ab, doch merk­te ich mit sechzehn Jahren, dass ich schwul bin. Aber ich wollte es nicht sein. Meine Mut­ter zeigte ihre Homofeindlichkeit schliesslich jedes Mal, wenn sich Schwule in Fil­men küssten. Ich ver­suchte verge­blich, dies zu ändern, indem ich mir eine ehe­ma­li­gen Schulkol­le­gin nackt vorstellte. Auch suchte ich im Inter­net nach ein­er «Heilung» für meine «Krankheit». Es war mir nicht möglich, meine Ver­an­la­gung zu ändern, dies wurde mir mit achtzehn Jahren klar. Ein ganzes Jahr habe ich mit Adri­ans Hil­fe, einem Fre­und von mir, dazu gebraucht, wieder in den Spiegel sehen zu kön­nen. Nun wollte ich meine Sex­u­al­ität ausleben. Doch ich wohnte zuhause, meine Mut­ter würde es zwangsläu­fig sehen, also wusste ich, dass ich es ihr sagen musste. So out­ete ich mich zuerst bei mein­er Schwest­er, was sie erstaunlich gut auf­nahm. Motiviert durch jenes gute Out­ing und die hero­is­che Musik eines Videospiels, aber den­noch vor Angst bebend, fasste ich den Mut, es Mama zu sagen. Das Schlimm­ste, was sie tun kön­nte, so dachte ich damals, ist mich aus dem Haus zu wer­fen. Doch ihre Reak­tion über­traf meine schlimm­sten Alp­träume.

Zuerst dachte sie, ich würde sie auf den Arm nehmen. Doch als sie merk­te, dass ich es ernst meinte, beschimpfte sie mich. Ja, sie wollte sog­ar auswan­dern, um nicht im sel­ben Land leben zu müssen wie ihr schwuler Sohn. Die fol­gen­den Tage waren die Hölle für mich. Am lieb­sten hätte ich Tag und Nacht durchgear­beit­et, um nicht nach Hause gehen zu müssen zu mein­er Mut­ter, die mich ständig zurück­wies, als ich sie umar­men wollte, wenn sie weinend nach Hause kam. Von mein­er Mut­ter, die ich so liebe, ver­stossen zu wer­den, tat so unerträglich weh, dass ich mir das Leben nehmen wollte. Ich weiss noch, wie ich mit der Bitte, Zyankali ein­nehmen zu kön­nen, in eine Drogerie ging, was mir aber nicht verkauft wurde. Da kam mir die Idee, welche mein Herz mit der Hoff­nung erfüllte, doch noch ster­ben zu kön­nen: Der Blaue Eisen­hut, eine hochgiftige und sehr hüb­sche Blume, würde sich­er im Blu­mengeschäft zu erwer­ben sein, dachte ich. So wäre es auch gewe­sen, doch war der Blaue Eisen­hut ausverkauft. Man sagte mir, dass es eine Woche dauern würde, bis er wieder geliefert werde. «Eine Woche, danach kann ich meine Qualen endlich been­den», dachte ich glück­lich.

Meine Mut­ter musste etwas geah­nt haben, denn sie bat mich, mir nicht das Leben zu nehmen. Auf sie hätte ich nicht gehört, denn schliesslich war sie ja der Grund für meine Suizidgedanken. Adri­an und mein­er Schwest­er ist es zu ver­danken, dass ich den Blauen Eisen­hut eine Woche später nicht kaufte. Meine Mut­ter hat­te sich wieder beruhigt. Doch ihr Gedanke, es han­dle sich bei mein­er Homo­sex­u­al­ität nur um eine Phase, liess mich nicht ger­ade viel bess­er fühlen. Ich liess mich bei der Mil­itäraushe­bung von einem Psy­cholo­gen behan­deln, worauf man mich auf­grund mein­er psy­chis­chen Labil­ität dop­pelt untauglich schrieb. Doch das war mir in dem Moment egal, ich wollte nur, dass es mir bess­er geht.

Nach­dem ich mich mit Hil­fe der Jugend­ber­atung, mein­er Schwest­er und Adri­ans seel­isch wieder erholt hat­te, ver­brachte ich die näch­sten zwei Jahre damit, meine Homo­sex­u­al­ität totzuschweigen und gle­ichzeit­ig einen fes­ten Fre­und zu suchen. «Wenn ich meinen Part­ner erst gefun­den habe, wird meine Mut­ter es akzep­tieren müssen», dachte ich. Doch die Angst, das The­ma nochmals mit mein­er Mut­ter zu besprechen, war zu gross, und so suchte ich nur halb­herzig und fand natür­lich nie­man­den. Mit 21½ Jahren entsch­ied ich mich, allen Fre­un­den zu sagen, dass ich homo­sex­uell sei. Alle haben mein Out­ing gut aufge­fasst. Mit 23 Jahren war ich endlich stolz, mich selb­st zu sein, und auch darauf, dass ich schwul bin. Auch war ich nun ziem­lich selb­ständig (und bin.es es bis heute) und hat­te mich auch psy­chisch von mein­er Mut­ter unab­hängig gemacht. Fest entschlossen, mit mein­er Sex­u­al­ität glück­lich zu sein und diese auch auszuleben, sprach ich meine Mut­ter nochmals darauf an. Hätte sie so reagiert wie beim ersten Mal, wäre ich aus­ge­zo­gen, das wusste ich. Sie reagierte wesentlich bess­er, aber immer noch nicht so, wie ich es mir wün­schte. Sie meinte, sie würde meine «Entschei­dung» nie ver­ste­hen und akzep­tieren. Aber es sei mein Leben, und solange es in meinem Zim­mer bleibe, dürfe ich auch mit Män­nern Sex haben. Seit­dem kann ich mich sex­uell beina­he voll ent­fal­ten, nur noch ein paar wenige Wün­sche bleiben offen. Dazu gle­ich noch mehr. Und nun spreche ich meine Mut­ter direkt an:

Zunächst ein­mal hoffe ich, dass ich dir, liebe Mama, mit diesem lan­gen Bericht aufzeigen kon­nte, dass ich mich nicht dazu entsch­ieden habe, schwul zu sein. Ich habe sehr darunter gelit­ten und hätte es damals jed­erzeit geän­dert, wenn ich es gekon­nt hätte. Trotz allem, was passiert ist, hege ich keinen Groll gegen dich. Im Gegen­teil: Ich liebe dich sehr. Deshalb würde es mir auch so viel bedeuten, wenn du mir bei meinen kün­fti­gen Dates viel Erfolg wün­schen würdest. Auch wün­sche ich mir, dass ich dir von schwulen Fre­un­den, welche ich auf der Suche nach einem fes­ten Fre­und ken­nen­gel­ernt habe oder ken­nen­ler­nen werde, erzählen kann, ohne fürcht­en zu müssen, dass du das nicht akzep­tierst. Schwul zu sein gehört zu mir, und ich bin mit­tler­weile sehr glück­lich damit. Trotz der Schwierigkeit­en, die es dir bere­it­et, dies zu akzep­tieren, weil man dir das Gegen­teil beige­bracht hat, bitte ich dich darum. Denn Homo­sex­u­al­ität ist wed­er etwas Schlecht­es noch eine Entschei­dungssache. Ich bin sich­er, wenn du alle Vorurteile, die man dir einget­richtert hat, auss­chal­test, wirst du mit dem Herzen sehen und ver­ste­hen.

Auch ich höre auf mein Herz, das viel durch­machen musste, und es liebt dich doch noch immer.

In Liebe, dein Sohn

4. August 2021; Nach­trag

Einige Zeit ist nun ver­gan­gen, seit ich diesen Bericht geschrieben habe. Es war zwar nie nötig, ihn mein­er Mut­ter zu zeigen, da sie meine Homo­sex­u­al­ität endlich akzep­tiert hat. Doch möchte ich ihn veröf­fentlichen, um anderen Homo­sex­uellen zu helfen. Wenn meine Mut­ter, die in einem homo­phoben Umfeld gross gewor­den ist, es nach neun Jahren nach meinem Out­ing im Alter von neun­zehn Jahren doch noch geschafft hat, meine Homo­sex­u­al­ität zu akzep­tieren, beste­ht Hoff­nung für die meis­ten, wenn nicht gar jeden von euch.

Glaubt an euch, ihr schafft das!

Luca