«Tische sind für mich bedeutend angenehmer»

Sel­ma Mosi­mann kam drei Monate zu früh auf die Welt und hat­te wenige Tage nach der Geburt eine Hirn­blu­tung. Sei­ther hat sie eine cel­e­brale Bewe­gungs­be­hin­derung. Und sie ist les­bisch.

Du bist «behin­dert». Was geht dir da durch den Kopf?

Wenn ich dies höre, frage ich mich, weshalb solche Aus­sagen ent­standen sind, egal ob «schwul» oder «behin­dert». Spon­tan schiesst mir die Frage durch den Kopf: Ist es für ein­mal gut, dass (wir) Les­ben weniger sicht­bar sind als Schwule? Da diese Aus­sagen ja für «Bisch dumm oder was?» ste­hen.

Was kön­nen wir dage­gen tun, dass ger­ade Jugendliche die Wörter «schwul» und «behin­dert» als Schimpfwörter brauchen?

Das Beste ist es, mit den Leuten, welche diese Schimpfwörter brauchen, zu reden. Ich gehe aber aus Selb­stschutz nicht auf diese Leute zu. Wenn ich aber in ein­er Gruppe zusam­men­sitze und jemand sagt: «Das isch behin­deret», dann spreche ich diese Per­son nett darauf an und so entste­ht häu­fig ein guter Aus­tausch.

Ich möchte beto­nen, dass ich nicht mit Samthand­schuhen ange­fasst wer­den möchte — also, dass man es gar nicht sagen darf — aber im Kon­text zu «Bisch blöd oder was?» finde ich es nicht ange­bracht.

Ist es nicht eher so, dass dich die Gesellschaft «behin­dert»? Ich denke da an die vie­len Hin­dernisse, die man dir in den Weg stellt. Trep­pen beispiel­sweise …

Ja! Es ist tat­säch­lich so, dass die Gesellschaft – oder all­ge­mein die Öffentlichkeit – mich immer wieder behin­dert. Ich kann da von der Sit­u­a­tion von mir als Roll­stuhlfahrende erzählen: Da gibt es die baulichen Hin­dernisse aber auch Bar­ri­eren in den Köpfen der Men­schen. Ein Beispiel: Dass eine gehende Per­son an einen Anlass mitkom­men muss, weil die Roll­stuhlfahrende eine Begleitung braucht. Da hil­ft häu­fig nur eines: Die Aufk­lärung, dass die Per­son nicht als meine Begleitung kommt, son­dern als Kol­le­gin oder was auch immer. Damit will ich nicht sagen, dass es keine Per­so­n­en mit Behin­derun­gen gibt, welche diese Hil­fe nicht benöti­gen. Wichtig aber, dass es nicht in Ord­nung ist, ein­fach so anzunehmen, dass dies in allen Fällen so ist.

Was für eine Behin­derung hast du?

Eine cere­brale Bewe­gungs­be­hin­derung (Cere­bral­parese). Ich kam drei Monate zu früh zur Welt. Wenige Tage nach mein­er Geburt hat­te ich eine Hirn­blu­tung.

Ist die Frage nach dein­er Behin­derung eine Frage, die du zulässt? Mir ist es jeden­falls fast pein­lich, diese Frage zu stellen …

Für mich ist es kein Prob­lem, wenn ich gefragt werde, weshalb ich im Roll­stuhl sitze (ich bevorzuge allerd­ings die Beze­ich­nung «Roll­stuhlfahrende»). Je nach Begeg­nung wird sie etwas anders beant­wortet:

Kind: «Wiso bisch im Roll­stuel?»
Ich: «Weisch, ich cha nöd guet laufe.»

Was für mich auch stimmt, da ich einige Schritte mit Unter­stützung gehen kann.

Ein­er erwach­se­nen Per­son an ein­er Bushal­testelle auf die Frage, ob es nicht blöd sei im Roll­stuhl, sage ich, dass ich es nicht anders kenne.

Es gibt Begeg­nun­gen da erzäh­le ich gerne etwas mehr von mir. Habe aber auch gel­ernt, Fra­gen zurück­zuweisen. Dann kann es vorkom­men, dass die Per­son erstaunt ist. Ich möchte ein­fach nicht, dass es ein Aus­fra­gen wird.

Wie wirst du in unser­er queeren Com­mu­ni­ty behan­delt – als les­bis­che Frau mit Behin­derung?

Bis jet­zt habe ich fast nur gute Erfahrun­gen gemacht. Mir ist nur eine Per­son in Erin­nerung geblieben, die mir unsich­er schien und sich unbe­holfen ver­hielt mit nicht so passenden Äusserun­gen. Unsicher­heit­en gin­gen aber zu jen­er Zeit auch von mir aus da, es meine ersten Begeg­nun­gen in der queeren Com­mu­ni­ty waren.

Anson­sten begeg­net man mir offen und inter­essiert. In der Com­mu­ni­ty fällt mir auf, dass meis­tens nicht die erste Frage ist weshalb ich Roll­stuhlfahrende bin. Das ist in der cis-het­ero Welt klar anders.

Was kann unsere queere Com­mu­ni­ty für queere Men­schen mit Behin­derung tun?

Ich finde es wichtig, dass wir Queers mit Behin­derung beispiel­sweise bei der Pla­nung von Anlässen mit ein­be­zo­gen wer­den – etwa bei der Suche nach geeigneten Örtlichkeit­en. Auch soll­ten bei Apéros nicht nur Ste­htis­che, son­dern auch nor­male Tis­che bere­it­gestellt wer­den. Tis­che sind für mich bedeu­tend angenehmer, da ich meine Häp­pchen lieber am Tisch esse, statt auf meinen Ober­schenkeln.

Wie nehmen andere behin­derte Men­schen dein Les­bis­ch­sein war?

Ich kann diese Frage nicht auf Men­schen mit Behin­derung fes­tle­gen. Es wird in meinem Umfeld selb­stver­ständlich damit umge­gan­gen. Per­so­n­en, die ich noch von früher kenne sind erstaunt, dass ich nicht mehr het­ero bin. Men­schen aus meinem näheren Umfeld sagen, dass ich heute viel gelöster bin als noch vor etwa zehn Jahren vor meinem äusseren Com­ing-out.


Selma Mosimann «zuGast» im GAYRADIO (heute QueerUp Radio)