Torero

Wie lebt es sich als homo­sex­ueller Torero im franco­geprägten Spanien der 1960er Jahre? Gibt man Erfolg und gesellschaftliche Achtung für die wahre Liebe auf und riskiert man aus­gestossen und geächtet zu wer­den? Die Antwort in Nell War­rens neustem Roman ist umso beein­druck­ender, da sie eine wahre Geschichte erzählt.

„Er fiel mir auf, denn er sah so ernst aus. Er war der Einzige, der den Damenslip nicht mit laut­starken Zwei­deutigkeit­en kom­men­tierte. Seine bre­it­en kräfti­gen Schul­tern ver­ri­eten, dass er mit schw­er­er kör­per­lich­er Arbeit aufgewach­sen war. Sein aus­gestreck­ter nack­ter, dreck­ver­schmiert­er Arm hielt mir ein gefülltes Schnaps­glas ent­ge­gen. Im Schat­ten sein­er blonden Haare, in denen sich ein Son­nen­strahl ver­fan­gen hat­te, fix­ierten mich seine ern­sten blauen Augen für einen kurzen Moment. … Sie waren so blau wie die wilden Korn­blu­men, die im Som­mer an den Rän­dern ein­samer kastilis­ch­er Land­strassen blüht­en. … Dann zuck­te ein dun­kler Blitz in seinen Augen auf, so schnell, dass nur jemand wie ich ihn bemerken kon­nte.“

Anto­nio Escud­ero lebt gefährlich – und dies in zweifach­er Hin­sicht. Als spanis­ch­er Torero zieht er all­wöchentlich die wildesten Stiere wie auch sein Pub­likum in der Stierkamp­fare­na in seinen Bann. Überdies schlägt sein Herz nicht nur für Stiere, son­dern auch für Män­ner. Doch diese Lei­den­schaft ist im franco­geprägten Spanien der 60er Jahre ein rotes Tuch. Das Pub­lik­w­er­den sein­er Nei­gung würde nicht nur das Ende sein­er Torerokar­riere beschliessen, eben­falls würde damit der gesellschaftliche Abstieg begin­nen und damit famil­iäre Äch­tung nach sich ziehen. In seinem ersten Kampf nach ein­er jähri­gen Rekon­va­leszenz reicht ihm ein blonder nord­kastilis­ch­er Land­bursche aus dem Pub­likum ein Schaps­glas zur Stärkung. Beina­he hätte er vor einem Jahr für einen Sti­er sein Leben gebüsst und nur mit Glück musste sein recht­es Bein nicht amputiert wer­den, das damals von einem Stier­horn im Ober­schenkel durch­bohrt wurde. Nach seinem Wieder­antritt in der Are­na trifft er in der johlen­den Menge wiederum auf Juan, der ihn vor dem drän­gen­den Pub­likum spon­tan zu schützen ver­mag. Dies ist der Aus­gangspunkt ein­er ungewöhn­lichen, realen Liebesgeschichte. Find­en der adlige Anto­nio und der bäuer­liche Juan einen gemein­samen Weg unter dem dik­ta­torischen Regime Fran­cos? Und was ist mit den famil­iären Forderun­gen und gesellschaftlichen Erwartun­gen an Heirat und Kindern?

Die amerikanis­che, les­bis­che Erfol­gsautorin Patri­cia Nell War­ren erzählt die biografis­che Geschichte des Toreros in aus­drück­lich pulsieren­der, far­ben­fro­her Sprache, welche sofort zu fes­seln ver­mag. Sie geht dabei mit Span­nung, Erzäh­lkun­st, Erotik und his­torischen Ereignis­sen so gewieft um wie Anto­nio mit rotem Tuch und Sti­er in der Are­na. Ein wahres Lesev­ergnü­gen – einzig das seichte Cover­bild müsste in ein­er Neuau­flage umge­hend erset­zt wer­den!

Weit­ere Werke der­sel­ben Autorin in der HAB Bib­lio­thek:

  • Der Langstreck­en­läufer (The Front Run­ner)
  • Har­lans End­spurt (Harlan’s Race)
  • Mis­sion Him­mel­stürmer (Billy’s Boy)

Diese drei Werke stellen eine sehr lesenswerte Trilo­gie über Homo­sex­u­al­ität im Spitzen­sport (Langstreck­en­lauf), gesellschaft­spoli­tis­chen Entwick­lun­gen von den 1970er bis 1990ern und Regen­bo­gen­fam­i­lien in den USA dar.

Adri­an Reichen­bach

Patri­cia Nell War­ren
“Torero”