Trotz Corona mehr als ein Fall pro Woche

Foto: Sabine Wunderlin. 9.2.2020. BERN Lesbenorganisation Schweiz (LOS). Abstimmung "Ja zum Schutz vor Hass" BERN.
9. Feb­ru­ar 2020: Wir haben die Abstim­mung «Ja zum Schutz vor Hass» gewon­nen. Foto: Sabine Wun­der­lin.

Heute wurde der neue Hate Crime Bericht veröf­fentlicht: Im Jahr 2020 wur­den 61 Fälle von LGBTQ-feindlichen Hate Crimes gemeldet, also mehr als ein Fall pro Woche. Gle­ichzeit­ig bleibt die Dunkelz­if­fer hoch. Das zeigt: Angriffe auf LGBTQ-Per­so­n­en sind lei­der weit­er­hin alltägliche Real­ität – und das trotz Coro­na-Mass­nah­men. 

Am Inter­na­tionalen Tag gegen Homo‑, Bi‑, Inter- und Trans­pho­bie (IDAHOBIT) ist der Hate Crime Bericht erschienen, der Hass und Het­ze gegen die LGBTQ-Com­mu­ni­ty in der Schweiz doku­men­tiert. Als Reak­tion auf die täglichen Über­griffe und Gewalt gegen die Com­mu­ni­ty haben sich die Dachver­bände Les­benor­gan­i­sa­tion Schweiz (LOS) und Pink Cross mit Parlamentarier*innen aus 16 Schweiz­er Kan­to­nen zusam­mengeschlossen, um die Umset­zung der Strafnorm zum Schutz vor Hass von LGB-Per­so­n­en (Art. 261bis StGB) einzu­fordern. Dieses Gesetz, das 2020 von 63 Prozent der Stimm­bevölkerung angenom­men wurde, ist bere­its let­zten Som­mer in Kraft getreten, doch die Umset­zung, etwa mit entsprechen­den Präven­tions- und Sen­si­bil­isierungs­mass­nah­men zur Ver­hin­derung von Gewalt, ste­ht noch aus. Mit der Ein­re­ichung von 16 kan­tonalen Vorstössen, ein­er Peti­tion und der Veröf­fentlichung des diesjähri­gen Hate Crime Berichts wollen die Organ­i­sa­tio­nen ein klares Zeichen set­zen: Es beste­ht drin­gen­der Hand­lungs­be­darf auf allen Ebe­nen!

Anfein­dun­gen und Has­sver­brechen gegen les­bis­che, schwule und bisex­uelle Men­schen wer­den seit eini­gen Jahren bre­it disku­tiert. Den­noch fehlt es in der Schweiz auf allen Ebe­nen an effek­tiv­en Mass­nah­men gegen Has­sver­brechen und generell gegen LGB-Feindlichkeit. Darum koor­dinierten die LOS und Pink Cross die Ein­re­ichung von 16 kan­tonalen Vorstössen von Schaffhausen über Bern bis nach Genf, um Betrof­fene zu unter­stützen und zu schützen sowie präven­tive Mass­nah­men zu ergreifen.

Heute Mor­gen, am Inter­na­tionalen Tag gegen Homo‑, Bi‑, Inter- und Trans­pho­bie (IDAHOBIT), pub­lizieren Pink Cross, die LOS und das Trans­gen­der Net­work Switzer­land zudem den jährlichen Hate Crime Bericht. Die Resul­tate sind gemäss Roman Heg­gli, Geschäft­sleit­er von Pink Cross, alarmierend: «Trotz der Coro­na-Pan­demie haben wir keinen Rück­gang der Has­sver­brechen im Jahr 2020 gese­hen. Im ver­gan­genen Jahr wur­den trotz Lock­down und Social Dis­tanc­ing schweizweit mehr als 60 Fälle von kör­per­lich­er und ver­baler Gewalt gemeldet.»

«Die Abstim­mung vom 9. Feb­ru­ar 2020 reicht in der Tat nicht aus, um die Zahl der Has­sver­brechen gegen die LGB-Com­mu­ni­ty zu senken», bestätigt Muriel Waeger, Co-Lei­t­erin der Les­benor­gan­i­sa­tion Schweiz (LOS). «Wir brauchen einen nationalen Aktion­s­plan, der Mass­nah­men zur Präven­tion, Unter­stützung und Sen­si­bil­isierung bein­hal­tet, um die Sit­u­a­tion zu ändern. Mehr als 3’500 Men­schen haben eine Peti­tion unter­schrieben, die den Bun­desrat auf­fordert, schweizweit zu han­deln. Da sich der Bun­desrat aus der Ver­ant­wor­tung ziehen und die Umset­zung den 26 Kan­to­nen über­lassen will, haben wir beschlossen, auf allen Ebe­nen aktiv zu wer­den.»

In 16 Kan­to­nen wer­den Vorstösse ein­gere­icht, um sicherzustellen, dass die Behör­den, ins­beson­dere die Polizei, das neue Strafrecht mit entsprechen­den Begleit­mass­nah­men umset­zen. «Mit diesen Vorstössen wollen wir die Regierungsräte unter­stützen, Mass­nah­men gegen Hass und Gewalt zu ergreifen», sagt Bar­bara Stuc­ki, GLP-Gross­rätin des Kan­tons Bern. «Die Kan­tone müssen nicht nur Polizeibeamte schulen und Betrof­fene begleit­en, son­dern auch Has­sver­brechen vor­beu­gen und aufk­lären. Es ist an der Zeit, proak­tiv zu han­deln und das tägliche Leben von Tausenden von Men­schen in der Schweiz zu verbessern», sagt Julien Eggen­berg­er, sozialdemokratis­ch­er Gross­rat aus dem Waadt­land.

Bericht 2021 mit den neusten Zahlen: «Hate Crimes an LGBTQ-Men­schen in der Schweiz»

Hate Crime Bericht: Das Wichtigste in Kürze

Seit 2016 kön­nen LGBTQ-feindliche Has­sver­brechen bei der LGBT+ Helpline gemeldet wer­den. Diese Meldestelle soll die Sit­u­a­tion in der Schweiz sicht­bar und mess­bar machen, da es noch immer keine nationale, staatliche Erfas­sungsmöglichkeit gibt.

Die Analyse der Fälle, die der LGBT+ Helpline zwis­chen Jan­u­ar und Dezem­ber 2020 gemeldet wur­den, zeigt eine erschreck­ende Real­ität:

  • Trotz Coro­na-Mass­nah­men und der damit eingeschränk­ten Mobil­ität blieb die Zahl der Mel­dun­gen sta­bil: Pro Woche wurde min­destens ein Hate Crime gemeldet. Total wur­den 61 Fälle gemeldet.
  • Rund. 85 Prozent der Melden­den wur­den belei­digt und beschimpft, etwa 18 Prozent hat­ten physis­che Gewalt erlebt. Das ist ein Rück­gang im Ver­gle­ich zu den vorheri­gen Jahren (jew­eils ca. ein Drit­tel erlebte physis­che Gewalt), der wahrschein­lich auf die Coro­na-Mass­nah­men zurück­zuführen ist.
  • Mit Abstand die meis­ten Fälle wur­den im Kan­ton Zürich gemeldet. Das kann mit der höheren Sicht­barkeit von LGBTQ-Per­so­n­en in Zürich und ein­er höheren Bekan­ntheit der LGBT+ Helpline erk­lärt wer­den.
  • Die wenig­sten Hate Crimes wer­den angezeigt. Von allen gemelde­ten Hate Crimes wur­den nur knapp 20 Prozent der Polizei gemeldet. Wer Anzeige erstat­tete, erlebte meist eine sach­liche Reak­tion der Polizei.
  • Die meis­ten Hate Crimes fan­den auch 2020 im öffentlichen Raum statt – trotz Coro­na-Mass­nah­men. Die Öffentlichkeit hin­dert die Täter*innen nicht daran, ein Hate Crime zu bege­hen.

Die Zahlen sprechen seit Jahren eine ein­deutige Sprache: LGBTQ-Feindlichkeit ist lei­der weit­er­hin weit ver­bre­it­et. LGBTQ-feindliche Hate Crimes sind alltägliche Real­ität und haben sowohl für die direk­ten Opfer als auch für die ganze queere Com­mu­ni­ty schw­er­wiegende Fol­gen.