
Vom 6. bis 13. November besuchte die Menschenrechtsverteidigerin Esdra Yavéh Sosa Sierra aus Honduras auf Einladung von PBI (Peace Brigades International) die Schweiz. Sie ist die Subkoordinatorin der Organisation «Arcoiris». Für hab queer bern hat sich Max Krieg mit Esdra Yavéh Sosa Sierra unterhalten.
Seit dem Staatsputsch 2009 in Honduras verzeichnet das nationale Menschenrechtskommissariat über 325 Morde an LGBTIQ. Hassverbrechen und Morde werden in Honduras kaum strafrechtlich verfolgt und oftmals sind staatliche Sicherheitskräfte in die Verbrechen involviert. Im öffentlichen Diskurs wird die queere Gemeinschaft immer wieder angegriffen, sowohl seitens des Staates wie auch der Kirchen, Medien, Bildungsinstitutionen und des Gesundheitswesens.
88 Prozent der honduranischen Bevölkerung bezeichnen Homosexualität als unmoralisch. Diese Zahlen weisen den höchsten Wert in Lateinamerika auf. Viele LGBTIQ migrieren aufgrund der schlechten Lage nach Nordamerika oder Europa. Besonders betroffen sind trans Frauen. Sie sind als Gruppe einfach erkennbar, da viele zur Sexarbeit gezwungen werden und leicht identifizierbar sind. Honduras verzeichnet weltweit den höchsten Wert an ermordeten trans Personen.
Esdra, was führt dich nach Bern und in die Schweiz?
Ich bin hier und in Europa, um die schwierige Situation von uns LGBTIQ-Menschen in Honduras im Namen unserer Organisation «Arcoiris» darzulegen.
Kannst du noch etwas zur deiner Person sagen?
Ich bin Mitte 30, arbeite in Honduras als Pflegerin und studiere gleichzeitig Jurisprudenz. Meine Hauptbeschäftigung ist jedoch die Freiwilligenarbeit bei «Arcoiris» in Tegucigalpa.
Wenige kennen Honduras. Was sollten wir darüber wissen?
Honduras ist eine zentral-amerikanische Republik und hat rund neun Millionen Einwohner. Etwa 90 Prozent der Bevölkerung sind Mestizen, sieben Prozent Ureinwohner, zwei Prozent Afrikastämmige und ein Prozent Weisse. Je etwa 46 bis 48 Prozent folgen der römisch-katholischen Kirche und den evangelikalen Protestanten. Unsere Nachbarstaaten sind Guatemala, El Salvador und Nicaragua.
Du bist eine zentrale Figur bei «Arcoiris» (Regenbogen). Was macht der Verein genau?
Der Verein «Arcoiris» wurde 2003 gegründet. Seine Hauptaufgabe sind die politischen Tätigkeiten zur Verbesserung der Gesetzeslage für LGBTIQ und die Anerkennung und Respektierung ihrer Menschenrechte. Wir arbeiten dazu mit den Verteidiger*innen der Menschenrechte zusammen. Wir pflegen auch internationale Beziehungen. «Arcoiris» vereinigt als einziger Verein die Menschen unter den vier Buchstaben, L(esben), G(ay), B(isexuelle) und T(rans) . Zusammen mit sieben anderen Vereinen bilden wir das nationale «Komitee der sexuellen Vielfalt». Ich bin auch für die Untergruppe «Litos» der lesbischen und bisexuellen Frauen verantwortlich.
Die LGBTIQ-Geschichte ist in jedem Land eine andere. Wie sieht sie in Honduras aus?
Nach der Unabhängigkeit von Spanien im Jahr 1821 stellte die Verfassung seit 1899 gleichgeschlechtliche Beziehungen nicht (mehr) unter Strafe. Wie in Frankreich im 19. Jahrhundert und bis weit in das 20. Jahrhundert wurden jedoch andere Gesetzesbestimmungen (z.B. Verstoss gegen die öffentliche Ordnung) für die Verfolgung von Schwulen und Lesben eingesetzt. 2005 wurde eine Verfassungsbestimmung aufgenommen, die gleichgeschlechtliche Ehen ausdrücklich verbietet.
Erste Schwulenvereine entstanden in den 1980er-Jahren in Zusammenhang mit der AIDS-Krise.
Du hast mir am Anfang gesagt, dass das Leben für LGBTIQ-Menschen in Honduras gefährlich ist. Warum ist das so?
Gefährlich leben LGBTIQ in Honduras, weil die Menschenrechte in Honduras trotz ihrer grundsätzlichen Anerkennung nicht eingehalten und geschützt werden. Es ist nicht nur für uns und insbesondere trans Frauen so, sondern für alle Frauen, Ureinwohner, Journalist*inne, Umweltschützer*innen und Verteidiger*innen der Menschenrechte. Der Staat ist militarisiert, insbesondere nach dem Staatsstreich von 2009 wird dies noch durch undurchsichtige private Sicherheitsgesellschaften verstärkt. Kumuliert mit der oft bewusst hingenommenen oder gar geförderten Machtlosigkeit des Rechtssystems führt alles zu grosser Unsicherheit für alle Menschen. Auch der honduranische Menschenrechtsrat, in dem von 14 Mitgliedern bloss zwei aus der Zivilgesellschaft kommen, ist eng in die Militär- und Staatslogik eingebunden und nimmt seinen Auftrag, den Schutz der Menschenrechte, kaum wahr.
Honduras weist 2017 weltweit die vierthöchste Mord- und Totschlagsrate auf. Zwischen 2008 bis 2018 wurden mindestens 295 LGBTIQ umgebracht, 34 Menschen allein im Jahr 2017. Betroffen waren etwa zur Hälfte Gays (oder abschätzig «Culeros»), zu einem Drittel trans Frauen und zu 15 Prozent Lesben. Die Hälfte der Morde fand auf offener Strasse statt. Aufgrund der gesellschaftlichen und institutionellen Stigmatisierung ist die Dunkelziffer extrem hoch. Erschreckend ist zudem die Tatsache, dass gemäss dem nationalen Menschenrechtsrat 92 Prozent dieser Morde nicht aufgeklärt werden. Von diesem Blutbad sind trans Menschen und unsere Organisation «Arcoiris» als politische Speerspitze besonders hart betroffen.
Das Klima der gesellschaftlichen und familiären Diskriminierung führt dazu, dass täglich zwischen fünf bis sieben LGBTIQ aus Honduras emigrieren. Sie bildeten auch einen bedeutenden Teil der «Menschenkarawane» nach den USA.
Aber wie werden dann LGBTIQ-Menschen in der Gesellschaft selbst wahrgenommen?
Auch nach jüngsten Studien lehnen 88 Prozent der Honduraner*innen Homosexualität als unmoralisches Verhalten ab und 83 Prozent lehnen gleichgeschlechtliche Ehen ab. Diese Zahlen sind höher als in jedem anderen lateinamerikanischen Land. Diese Haltung wird von den Medien, den politischen Stellungnahmen und den Predigten der Evangelikalen Bruderschaft und traditionell ablehnenden Haltung der römisch-katholischen Kirche zusätzlich geschürt. Aufklärung in den Schulen und in den Familien findet nicht statt. Eltern von LGBTIQ trauen sich aus Furcht vor Ächtung nur in kleiner Zahl zu ihren Kindern zu stehen.
Die Nicht-Anerkennung von LGBTQIQ führt bereits ab dem frühesten Kindesalter und in der Schule zu Verachtung, Ausgrenzung und schliesslich zu prekären beruflichen Lebenssituationen und Marginalisierung und behindert den Zugang zur Gesundheitsversorgung.
Öffentliche homo- und transfeindliche Beschimpfungen sind alltäglich und gewalttätige Übergriffe auf LGBTIQ häufig. Auch die Vereine — insbesondere «Arcoiris» — leiden unter organisierten Überfällen.
Wie war es denn bei deinem eigenen Coming-out?
Ich habe meinen Eltern nach dem Coming out-Gespräch den Film «Plegarias for Bobby» geschenkt. Der Film hat sie sehr beeindruckt. Damit ist ihr Verständnis für mich gewachsen. Er trug auch dazu bei, dass sie sich bei einer Elterngruppe von LGBTIQ-Menschen engagieren.
Wie verhält es sich mit dem Staat überhaupt?
Honduras ist eine Präsidialdemokratie. Erstmals 2017 wurde die Verfassung dahin gebeugt, dass nach vier Jahren eine Wiederwahl des Präsidenten möglich wurde. Das Vorgehen ist jedoch dem aktuellen Präsident Juan Orlando Hernández gar nicht förderlich — er hat keine Legitimation, ist diktatorisch und hat in der breiten Bevölkerung überhaupt keinen Rückhalt.
Aber Honduras ist Mitglied der Interamerikanischen Menschenrechtskommission und hätte die Aufgabe, den Schutz der Menschenrechte ganz allgemein und in Bezug auf die LGBTIQ im Besonderen zu gewährleisten. Es gab 2015 wohl eine Informationskampagne zur Aufklärung über LGBTIQ-Menschen und deren Rechte. Die Unterwanderung der Exekutive und Judikative durch die sogenannte Anti-LGBTIQ-Bewegungen verhindert jedoch, dass Hassaufrufe und Gewalttaten gegen LGBTIQ und unsere Vereine überhaupt verfolgt werden.
Ihr arbeitet in einem widrigen Umfeld. Und dennoch: Konnte «Arcoiris» in den letzten Jahren etwas erreichen?
Doch! Trotz aller Widrigkeiten konnte «Arcoiris» einige Erfolge erzielen. Der Verein wurde unter anderem als nationale und internationale Menschenrechtsorganisation anerkannt. Er ist Mitglied des Komitees der sexuellen Vielfalt, die ihrerseits der ILGA ist. Zudem ist der Verein im nationalen Rat zur Überwachung der Menschenrechte vertreten. Er mobilisiert jährlich zum IDAHOBIT-Tag am 17. Mai. Damit ist es auch gelungen, mehr Einfluss auf die Politik zu gewinnen. Wir arbeiten stark an der Ermächtigung der LGBTIQ-Menschen in der Gesellschaft und damit, dass sie den Ausweg an der strukturellen Diskriminierung in der Arbeitswelt finden.
Und schliesslich erhielt «Arcoiris» im August 2018 für seinen Einsatz den internationalen Preis «Freitheitsstern» der UNO-Menschenrechtskommission.
Viel Arbeit liegt noch vor euch. Welche strategischen Ziele verfolgt ihr in der nächsten Zeit?
Gemäss unseren strategischen Zielen haben wir diesen Oktober unsere Forderungen an die Regierungsstellen veröffentlicht.
Zuoberst steht die Zulassung von gleichgeschlechtlichen Ehen durch den Obersten Gerichtshof (gemäss dem Urteil des interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs).
Dazu kommen die Forderungen an den Kongress nach wirksamen Gesetzen zur Gewährleistung der Menschenrechte für und die Nicht-Diskriminierung von LGBTIQ-Menschen im Land, einschliesslich dem Zugang zur Gesundheitsversorgung. Dazu soll sexuelle Aufklärung und Verhütung Unterrichtsthema werden.
33 bereits anerkannte Aktivitäten zum Schutz der Menschenrechte aller Menschen sollen umgesetzt werden.
Gerichten soll es nicht mehr möglich sein, von der Gleichheit aller Bürger*innen unter bestimmten Umständen abzuweichen und so LGBTIQ-Menschen zu diskriminieren.
Und schliesslich soll die nationale Menschenrechtskommission dafür sorgen, dass die Verletzungen der Menschenrechte der LGBTIQ-Gemeinschaft untersucht und geahndet werden.
Ihr habt euch grosse Ziele gesetzt. Wie können sie erreicht werden?
Wir arbeiten tagtäglich daran. Aber wir sind auch auf die Unterstützung und Einflussnahme der internationalen Völker- und LGBTIQ-Gemeinschaft angewiesen. Deshalb bin ich ja hier, bei der UNO in Genf und in anderen Ländern.
Esdra, welchen Herzenswunsch hast du für die honduranische LGBTIQ-Gemeinschaft?
Mein innigster Wunsch ist: Umfassende Gerechtigkeit für LGBTIQ in Honduras!
Wie können wir euch von hier aus unterstützen?
Ihr könnt die honduranische LGBTIQ-Gemeinschaft durch Aufrufe an eure und andere europäische Regierungen und ihre Vertretungen in den Menschenrechtsorganisationen unterstützen und dort auf die Situation in Honduras aufmerksam machen und sie auffordern, bei allen entsprechenden Stellen und Gelegenheiten zugunsten unserer Anliegen und Forderungen zu intervenieren.
Esdra, ich danke dir für dieses Gespräch und wünsche dir im Namen von hab queer bern viel Erfolg mit den Kämpfen für LGBTIQ in eurem Land.
Spenden sind herzlich willkommen …
Asociación LGTB Arcoirís de Honduras
Adresse: 3 Ave entre 10 y 11 Calle Comayaguela M.D.C.
Bank: ATLANTIDA
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