
Einblicke ins Leben | Kurt Hofmann
Jeder Mensch hat eine Geschichte zu erzählen. In dieser Rubrik spricht die Redaktion mit den Vorstandsmitgliedern von hab queer bern über ihre Lebenserfahrungen, Herausforderungen, Erfolge und Perspektiven. Es geht um Erinnerungen, Wendepunkte, prägende Erlebnisse und alltägliche Begebenheiten, um das, was ein Leben einzigartig macht.
Die Gespräche geben nicht nur persönliche Einblicke, sondern zeigen auch, wie vielfältig Lebenswege sein können. Jede interviewte Person ist frei, genau so viel von sich preiszugeben, wie sie möchte, deshalb werden die Fragen in den Gesprächen auch entsprechend angepasst.
Den Anfang macht Kurt Hofmann.
Kurt ist zuständig für das Ressort Events bei hab queer bern, lebt in Bern und ist 62 Jahre alt. Er ist eines der Urgesteine im Vorstand und seine Kraftquellen sind die Natur, Reisen, Wanderungen und die Kultur. Er sagt von sich: «Ich bin ein Duracell-Häschen, ich muss immer etwas tun, einfach rumsitzen ist nicht mein Ding!».
Wir kennen dich als Hans Dampf in allen Gassen, wenn es um das Organisieren von Events jeglicher Art für die hqb geht. Wer steckt hinter der Person Kurt Hofmann?
Geboren wurde ich in auf einem Bauernhof in Unterkulm, Kanton Aargau, genauer gesagt auf dem Steinenberg, einem abgelegenen Weiler mit mehreren Bauernhöfen, wo die meisten Menschen untereinander verwandt waren. Als ältestes Kind musste ich schon früh auf dem Hof mitarbeiten. Mein Grossvater war schwerer Alkoholiker und mein Vater sehr gewalttätig, vor allem meiner Mutter gegenüber. Meine Kindheit und Jugend war demnach nicht das, was man schön nennen könnte. Dass ich schwul bin, weiss ich schon seit dem Kindergarten, allerdings konnte ich das zu diesem Zeitpunkt nicht richtig einordnen. Damals war Homosexualität gemäss WHO noch eine Krankheit. Als ich 15 war, sagte meine Grossmutter mir mal, ich müsse aufpassen, was mit schwulen Männern passiert. Hintergrund war die Tatsache, dass ein schwuler Mann im Dorf in die psychiatrische Klinik Königsfelden eingeliefert wurde, wo ihm sein Sexualtrieb «ausgeschaltet» wurde. Sie hatte da wohl so eine Art Eingebung.
Mit diesem Hintergrund suchte ich Anschluss im CEVI, merkte aber bald, dass meine Sexualität dort nichts zu suchen hatte. Ich bekam weder den Halt noch die Liebe, die ich gesucht habe. Im Gegenteil, die Angst, jemand könnte etwas merken, wurde grösser und grösser.
Irgendwie kam ich dann über eine Zeltmission in die Pfingstgemeinde in Oberkulm und sprach dort mit dem Prediger gutgläubig über meine Gefühle. Das kam gar nicht gut an und ich somit auch quasi vom Regen in die Traufe. Ich wurde dort zwischen meinem 17. und 18. Altersjahr einer Konversionstherapie unterzogen. In wöchentlichen Sitzungen, manchmal auch in Anwesenheit der gesamten Gemeindemitglieder, wurde mir dort der Satan (die Homosexualität) mittels Handauflegens ausgebetet. Ein ganzes Jahr habe ich diese Gehirnwäsche über mich ergehen lassen, bis es mir gelang, völlig verzweifelt und traumatisiert, aus dieser Umgebung auszubrechen.
Du bist der lebendige Beweis dafür, warum diese Konversionstherapien in der Schweiz verboten sein müssen. Nicht alle schaffen es aus eigener Kraft auszubrechen, dafür gehört dir der grösste Respekt. Als wären diese traumatischen Erlebnisse nicht genug gab es da auch noch ein weiteres Ereignis, das dein Leben geprägt hat.
Ja, stimmt. Meine Mutter hatte mit 58 Jahren einen schweren Unfall. Als Folge entwickelte sie das Locked-in-Syndrom, auch bekannt als Gefangensein-Syndrom, ein seltener neurologischer Zustand, bei dem eine Person bei vollem Bewusstsein und wachem Geist vollständig gelähmt ist, mit Ausnahme der vertikalen Augenbewegungen und des Blinzelns. Betroffene können nicht sprechen, sich bewegen oder auf andere Weise kommunizieren, ausser durch Augenbewegungen oder Blinzeln. Sie lag 20 Jahre im Spital, und ich habe sie regelmässig besucht und mitgeholfen, sie zu betreuen. Über die Zeit gelang es mir, mit Augenblinzeln eine Konversation aufzubauen. Ich fuhr zwei bis dreimal pro Woche zu ihr ins Spital und habe meine Arbeit dafür reduziert. Sie war für mich immer ein zentrales Element in meinem Leben, und meine Beziehung zu ihr viel wichtiger als die zu meinem Vater.
Und in dieser Zeit bist du ausgebrochen aus deinem Umfeld und weg aus dem Wynental.
Ich musste einfach weg und versuchen, die traumatischen und belastenden Erlebnisse so gut es eben ging hinter mir zu lassen. Ich orientierte mich Richtung Bern, habe in Kirchberg in einem Gartencenter gearbeitet und kam so auch erstmals mit Bern in Berührung, genauer gesagt mit dem Ursus Club, den es damals in der Stadt gab. Parallel dazu wurde ich auch auf die HAB aufmerksam, damals noch in der Brunngasse. Die Zeiten waren trotzdem nicht einfach. Ich erinnere mich, dass ich damals, bevor ich in die Lokalitäten der HAB ging, zwei oder dreimal über meine Schulter geschaut habe, um sicher zu sein, nicht von jemandem beobachtet zu werden.
Die Tatsache, dass eine Stadt mehr Anonymität bietet, und auch, dass es Möglichkeiten gab, wenn auch nicht so offen wie vielleicht heute, Gleichgesinnte zu treffen, ermöglichte mir dann auch ein offizielles Coming Out mit 33 Jahren. In der Folge engagierte ich mich bei Lacets Roses (LGBTIQ+-Wandergruppe) und habe dort zusammen mit Heinz Rubin viele Wanderungen organisiert. Dazu habe ich auch eine Anekdote: Auf einer Wanderung im Lötschental bekam ich ein SMS von meinem Bruder mit folgendem Wortlaut: «Ich bin heute mit einem Mann nach Hause gekommen, und er hat bei mir übernachtet…». Man kann sich vorstellen, dass das ein weiterer Tiefschlag für meinen Vater war. Vier Kinder, zwei Mädchen und zwei Buben, und beide Stammhalter sind schwul. Gut, er hatte es zu Hause auch einfacher, ich hatte ja im Prinzip schon vorgespurt. Ausserdem war mein Bruder, der übrigens schon lange wusste, dass auch ich schwul bin, viel direkter und hat sich auch im Dorf zu seiner Homosexualität bekannt. Aufgenommen wurde das damals erstaunlicherweise ziemlich positiv, und er war recht gut akzeptiert im Dorf.
Kommen wir zurück zu deinen Anfängen in der HAB. War dir da von Anfang an klar, da möchte ich mich auf irgendeine Weise einbringen?
In der Brunngasse noch nicht. Als die HAB dann ins «anderLand» umgezogen ist, habe ich begonnen, in einer Kochgruppe mit dem vielsagenden Namen «Männer mit Schnäuzen» mitzuhelfen. Wir waren sehr erfolgreich. Etwa alle 6 Wochen haben wir sechzig bis achtzig Essen serviert. Das «anderLand» war so oder so sehr bereichernd für mich. Es gab viele Events, Podiumsdiskussionen zum Beispiel, und ich konnte dort eigentlich erstmals so richtig aufleben. Nach der Schliessung des «anderLand» im Jahre 2004 (aus finanziellen Gründen) übersiedelte die HAB in die Villa Stucki. Zu dieser Zeit wurde ich auch in den Vorstand gewählt.
Heute bist du verantwortlich für das Ressort Events bei hab queer bern. Wie bist du dazu gekommen?
Ich wollte das von allem Anfang an. Einerseits wurde das Ressort gerade frei und der Vorstand hat einen Ersatz gesucht, andererseits wollte ich mich bei Lacets Roses ein wenig zurücknehmen und eine neue Herausforderung angehen. Ich hatte ja auch jede Menge Erfahrung im Organisieren von Events gesammelt.
Zweifellos ein Glücksfall für die HAB. Du hast dieses Ressort jetzt schon viele Jahre inne. Woher kommen eigentlich die Ideen, immer wieder Anlässe zu organisieren und so auch einen grossen Anteil an der Sichtbarkeit der hqb zu haben?
Ich habe mir im Laufe der Zeit ein sehr gutes Netzwerk aufgebaut. Ich kenne viele Menschen aus diversen Bereichen persönlich, zum Beispiel den Intendanten des Stadttheaters, die Intendantin des Theaters an der Effingerstrasse oder Christoph vom La Capella. Da ich kulturell sehr interessiert bin, schaue ich mir ganz einfach auch viele Dinge selbst an und überlege mir, ob das auch etwas für hab queer bern wäre. Man muss halt ganz einfach die Augen offenhalten, vielseitig interessiert sein, das macht das Ganze um einiges einfacher.
Einfach und kompliziert ist ein gutes Stichwort. Was ist denn für dich das einfachste und welches das schwierigste Event zum Organisieren?
Das ist eher schwierig zu beantworten, weil es ja auch vom Umfang des Projekts abhängt. Wenn ich mir das so überlege, viel einfacher als noch in der Villa Stucki ist, das queer eat und meet durchzuführen. Wir haben ja jetzt mit Nurten in der Villa Bernau eine Köchin, die eigentlich alles organisiert. In der Villa Stucki war das definitiv viel komplizierter. Mal musste mit dem Koch alles abgestimmt werden, oft mussten wir auch selbst kochen, inklusive Einkauf und dem anderen Drum und Dran.
Ein schwieriges Event gibt es eigentlich nicht. Kompliziert sind eher die Dinge rund um diverse Projekte, ich denke da an die ganze Werbung und den Arbeitsaufwand, von dem viel im Hintergrund geschieht und der oft unterschätzt wird. Wenn ich vielleicht eine Grossveranstaltung nennen müsste, die sehr oft mit enorm viel Aufwand verbunden ist und manchmal auch sehr kompliziert werden kann, dann sind es die Prides. Oft ist die Zusammenarbeit mit den OKs zäh, es kann Änderungen im Ablauf geben, wenn wir schon alles geplant haben, auch kurzfristig. Da ist definitiv grosse Flexibilität gefragt. Aber mit Hilfe meiner Kollegen im Vorstand haben wir das eigentlich immer gut im Griff.
Das Leben ist keine Kristallkugel, was die Zukunft bringt, wissen wir nicht. Hast du trotzdem zum Schluss einen Wunsch was noch für die LGBTIQ+- Community in Bern gemacht werden kann und wo sich hab queer bern noch prominent einbringen könnte?
Da kommt mir jetzt spontan ein Projekt in den Sinn, über das wir und alle Communities oft sprechen es aber nie konkret angehen: Bern braucht ein Regenbogenhaus, respektive eine Art Kompetenzzentrum der Vereine und Verbände, die in Bern ansässig sind, und das offen und safe ist für alle queeren Menschen. Und weil das eben ein wenig harzt mit der Planung, um alle an einen Tisch zu bringen, geschweige denn mit der Umsetzung, könnte ja eventuell hab queer bern mal den Prozess anstossen. Ich meine damit nicht die Projektführung, sondern primär alle, die sich für ein solches Projekt interessieren, so weit zu bringen, das Ganze anzugehen. Wir brauchen so einen Safe Space, in der heutigen Zeit immer mehr, vor allem auch für die jüngere Generation. Und weil so ein Projekt nicht in Tagen oder Wochen realisiert werden kann, sollten wir das demnächst angehen.
Letzte Frage, versprochen. Wir haben viel über dein Leben gesprochen, und viel Negatives hat dein Leben dominiert. Wie geht es dir heute, Kurt?
Es ist halt immer noch ein Auf und Ab, aber ich kann sagen, das Auf dominiert das Ab. Ich habe halt diese Depression, die ich aber mit Medikamenten gut im Griff habe, und ich habe daneben meine Skills und Interessen, bin extrem aktiv, es muss halt immer etwas gehen, ich kann nicht einfach rumsitzen und Trübsal blasen. Dazu mache ich eine Traumatherapie, die mir hilft. Und dann ist da noch der queere Gottesdienst, den ich auch noch initiiert habe, der mir persönlich sehr am Herzen liegt und mir auch viel bringt.
Vielen Dank für das sehr offene Gespräch Kurt.
Das Gespräch hat Urs Vanessa Sager geführt.




