«Ich erfinde am besten, was ich gut kenne»

Am Mittwoch, 19. Okto­ber liest Simon Froehling um 18.45 Uhr bei uns in der Vil­la Bernau aus seinem neuen Roman «Dürrst».

Hal­lo Simon, wie geht es dir?

Mir gehts pri­ma, danke. Aber ich nehme an, du fragst ein wenig kokett, weil mein neuer Roman «Dürrst» von ein­er Fig­ur han­delt, der es nicht immer son­der­lich gut geht, sprich, die psy­chisch krank ist.

Ja, denn oft ist ja die Frage «Wie geht es dir?» bloss eine Floskel und die Antwort «Es geht mir nicht gut!» wird gar nicht erwartet. Sprechen wir aber doch zuerst von der Liebe …

Wie bere­its in deinem vor zwölf Jahren erschiene­nen ersten Roman «Lange Nächte Tag» geht es auch im neuen Buch um eine aussergewöhn­liche Liebesgeschichte. Wie sieht es bei dir per­sön­lich in Sachen Liebe aus? Was ist Liebe für dich?

Hm, da gehen mir eben­falls ganz viele Floskeln durch den Kopf, die ich aber alle nicht bemühen möchte. Als das Buch fer­tig war und ich den Dank geschrieben habe, ging mir die Begriff­ss­chöp­fung «logis­che Fam­i­lie» von Armis­tead Maupin, dem Autor der «Tales of the City»-Serie, durch den Kopf – «logis­che Fam­i­lie» in Abwand­lung von «biol­o­gis­che Fam­i­lie». Die Fam­i­lie also, die man sich sucht und die für einen stimmt. Da habe ich gemerkt, von wie viel Liebe ich umgeben bin. Liebe ganz unter­schiedlich­er Arten. Aber ich bin gegen­wär­tig sin­gle, wenn deine Frage darauf abzielt.

Mittwoch, 19. Okto­ber 2022, 18.45 Uhr
Vil­la Bernau, Sefti­gen­strasse 243, Wabern

Simon Froehling liest im Rah­men unseres 3gang-Abends – vor dem Essen und qua­si als Amuse Bouche – aus­gewählte Lecker­bis­sen aus seinem neuen Roman «Dürrst», in denen es unter anderem ums gemein­same Essen geht.
- Apéro-Bar ab 18:30 Uhr
- Lesung ab 18:45 Uhr
- Aben­dessen ab 19:30 Uhr
Anmel­dung unter queereatandmeet.ch

Im neuen Roman «Dürrst» geht es aber eben auch um psy­chis­che Erkrankun­gen – genauer um eine bipo­lare Störung. In unser­er Gesellschaft haften psy­chis­chen Erkrankun­gen oft ein Stig­ma an. Über psy­chisch Erkrank­te wird abfäl­lig gesprochen, sie passen nicht richtig in unsere Leis­tungs­ge­sellschaft. Wie gehst du mit psy­chis­chen Erkrankun­gen um?

Das ist in der Tat so. Lei­der. Als ich meine bipo­lare Störung zum ersten Mal öffentlich machte, in einem Essay in der «Repub­lik», war das wie ein zweites Com­ing-out – mit ähn­lichen Reak­tio­nen. Wer mir nicht mit Jesus als Erlös­er kam, grat­ulierte mir zu meinem Mut. Das hat mir zu denken gegeben, denn es zeigt genau diese Stig­ma­tisierung auf, die du ansprichst. Hätte ich einen Erfahrungs­bericht über einen kom­plizierten Schul­ter­bruch oder was auch immer geschrieben, hätte mir nie­mand Mut attestiert. Ich bin ger­ade sehr fasziniert von der englis­chen Autorin und Kri­tik­erin Olivia Laing, die in ihrem neuen Buch «Every­body» aufzeigt, wie die grossen Befreiungs­be­we­gun­gen des zwanzig­sten Jahrhun­derts – deren Errun­gen­schaften in der heuti­gen Zeit ger­ade wieder zunichte gemacht wer­den – alle den Wun­sch hegten, den Kör­p­er von Scham und Stig­ma­tisierung zu befreien und in eine Quelle der Sol­i­dar­ität und Stärke zu ver­wan­deln. Scham und Stig­ma inter­essierten mich schon bei «Lange Nächte Tag», wo es um eine gewollte Ansteck­ung mit HIV ging, und die bei­den Begriffe unter­füt­tern auch die Geschichte von Andreas Dur­rer, dem Pro­tag­o­nis­ten in «Dürrst».

«Dürrst» sei ein Roman über ein exzes­sives Leben in den «schein­baren Freiräu­men der Besetzer‑, Kun­st- und Schwu­len­szene». Wie viel Simon Froehling ist in «Dürrst» drin?

Ich erfinde am besten, was ich gut kenne. Oder wie es die grossar­tige, rumänisch-schweiz­erische Schrift­stel­lerin Agla­ja Vet­er­anyi ein­mal aus­drück­te: «Auch die Fan­tasie ist auto­bi­ografisch.» Und trotz­dem beze­ichne ich «Dürrst» nicht als einen auto­bi­ografis­chen Roman. Ich habe schreiben­der­weise eine sehr grosse Dis­tanz her­stellen müssen zu mein­er eige­nen Geschichte, um mich über­haupt dem The­ma Bipo­lar­ität wid­men zu kön­nen. Wobei ich das Buch nicht darauf reduzieren möchte, auch wenn es ein brisantes The­ma ist – ins­beson­dere in unser­er Com­mu­ni­ty, lei­den doch queeere Men­schen gemäss diversen Stu­di­en über­durch­schnit­tlich an psy­chis­chen Erkrankun­gen und sind stärk­er suizidge­fährdet als Cis-Het­eros. Auf der Meta-Ebene geht es mir per­sön­lich mit «Dürrst» um die kreative Kraft des Scheit­erns, um die Macht des Erzäh­lens und das Phänomen der Erin­nerung. Es ist eine sehr per­sön­liche Aneig­nung ein­er Lebens- und Schaf­fens­geschichte – aber eben nicht mein­er, son­dern jen­er des Konzep­tkün­stlers Andreas Dur­rer aka «Dürrst», von dem hof­fentlich ein wenig in uns allen steckt.

Die Fra­gen stellte Daniel Frey

Simon Froehling, 1978 geboren, ist schweiz­erisch-aus­tralis­ch­er Dop­pel­staats­bürg­er und lebt als Autor, Über­set­zer und Dra­maturg in Zürich. Anfang der 2000er Jahre hat er sich haupt­säch­lich als The­at­er­autor und Lyrik­er einen Namen gemacht. Mit seinem Roman «Lange Nächte Tag» gewann er 2014 den Kul­tur­preis von Net­work – Gay Lead­er­ship. Sein neues Buch «Dürrst» erschien im Sep­tem­ber im Bil­gerver­lag.